+ Simplicius Simplicissimus (Bühnenfassung) 
 Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausens berühmter Schelmenroman 

frei nacherzählt von Peter Welk

mit Gedichten der großen Barocklyriker und neuen Liedtexten
Auftragsarbeit zum Wilhelm-Fabry-Jahr 

Simplicius Simplicissimus    erster Teil



LIED    EINS (1) 

Wozu dienet das Studieren

Als zu eitel Ungemach!

Unterdessen läuft der Bach

Unsers Lebens, das wir haben,

Ehe wir es inne werden,

Auf das letzte Ende hin. 

Dann kommt ohne Grund und Sinn

Alles  in die Erden.



ERZÄHLERIN

Hört, großgütige Damen und hochgeehrte Herren, die ausführliche und recht memorable Geschichte, die von dem einfältigen Menschen erzählt, genannt Simplicius Simplicissimus, wo und welcher Gestalt er in diese Welt gekommen, was er darin gesehen, gelernt, erfahren und ausgestanden. 


SIMPLICIUS

Annehmlich und lustig erzählt von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen, dem es hat wollen behagen, mit Lachen die Wahrheit zu sagen!


ERZÄHLERIN

Annehmlich und lustig vorgestellt heute von uns: Diesem da, der in den Simplicius geschlüpft …


SIMPLICIUS

… und von ihr, die sie den Faden der Geschicht verlässlich in Händen hält. 


ERZÄHLERIN

Zum End auch hübsch eingebunden in Ballade und Rhythmus: von ihnen da, den aufs Beste gestimmten Musikanten.



LIED    EINS (2) 

Holla, Junker, geh und frage,

Wo der beste Trunk mag sein,

Nimm den Krug und fülle Wein!

Alles Trauern, Leid und Klage,

Wie wir Menschen täglich haben,

Eh der Tod uns fortgerafft …

Alles Trauern, Leid und Klage,

Will ich in den süßen Saft,

Den die Traube gibt, vergraben.



SIMPLICIUS

Die Wahrheit zu bekennen, ist es so, dass ich mir, da ich ein Kind war, eingebildet, mit meinem Namen Simplicius müss ich von einem großen Herrn meinen Ursprung haben. Warum denn auch nicht! Mein Knan, bei dem ich zu Haus war, hatte einen eignen Palast, dergleichen ein König zu bauen nicht vermag. Der Palast war mit Lehm gestrichen und mit Stroh bedeckt. Und dass mein Knan mit seinem Reichtum recht prangen möchte, ließ er die Mauer um seinen Palast nicht mit Steinen ausführen, sondern er nahm Holz von der Eiche dazu, welcher nützliche Baum, weil die Säu von den Eicheln fressen, also fette Schinken für uns wachsen lässt. 


ERZÄHLERIN

Die Zimmer, Säl und Gemächer im Palast hatte der Knan – also nennt man im Spessart die Väter – inwendig vom Rauch ganz hochschwärzen lassen, nur darum, weil dies die beständigste Farb von der Welt ist. 


SIMPLICIUS

Die Tapezereien waren das zarteste Spinnengeweb auf dem ganzen Erdboden. 


ERZÄHLERIN

Anstatt der Pagen, Lakaien und Stallknecht hatte der Knan Schaf, Böcke und Säu, jedes fein ordentlich in seine natürliche Livree gekleidet. 


SIMPLICIUS

Die Rüstkammer von meinem Knan war mit Pflügen, Äxten, und Mistgabeln versehen, mit welchen Waffen er sich auch täglich übte. Denn den Boden hacken war seine disciplina militaris …


ERZÄHLERIN

… Ochsen anspannen war sein hauptmannschaftliches Kommando, Ackern sein Feldzug … 


SIMPLICIUS

Stallausmisten aber seine adelige Kurzweil. Und ich schätze mich nicht besser als mein Knan war, welcher diese seine Wohnung an einem Ort im Spessart liegen hatte, allwo die Wölf einander gute Nacht geben. Gleich wie nun aber meines Knans Hauswesen beschrieben ist, also kann ein jeder Verständige auch begreifen, dass meine Auferziehung ähnlich gewesen. Ich war schon im zehnjährigen Alter ein trefflicher Spieler auf der Sackpfeifen, und die Theologie anbelangend, sag ich, dass keiner meines Alters damals in der ganzen Christenwelt gewesen, der mir darin hätt gleichen mögen, denn ich kannte weder Gott noch Menschen, weder Himmel noch Höll, weder Engel noch Teufel, und wusste weder Gutes noch Böses zu unterscheiden. Daher ohnschwer zu denken, dass ich wie die im Paradies gelebt, die in ihrer Unschuld von Krankheit, Tod und Sterben, noch von der Auferstehung nichts gewusst. Ja, ich war so vollkommen in der Unwissenheit, dass es mir ohnmöglich war zu wissen, dass ich so gar nichts wusste. 


ERZÄHLERIN

Der Knan versah den Simplicius mit der herrlichsten Würde, nämlich dem Hirtenamt. Er vertraute ihm erstlich seine Säu an, zweitens seine Ziegen, und zuletzt seine ganze Herd Schafe. «Bub, sei fleißig», sagte er, «lass die Schaf nicht auseinander laufen und spiel wacker auf der Sackpfeifen, dass der Wolf nicht kommt! Wenn du aber hindümmelst, werd ich dir gehörig den Buckel bläuen!» 


SIMPLICIUS

Ich antwortet mit gleicher Holdseligkeit: «Knan, sag mir auch, wo der Wolf denn sein mag? Ich hab noch kein Wolf gesehn.» 


ERZÄHLERIN

«Ach du Eselkopp», repliziert der Knan, «du bleibst dein Leben lang ein Narr! Bist schon beinah in den Himmel gewachsen und weißt noch immer nicht, was der Wolf für eine vierfüßige Bestie ist!»


SIMPLICIUS

Knan, jetzt weiß ichs!


ERZÄHLERIN

Von dem Tag fing der Simplicius an mit seiner Sackpfeifen ein so gut Spektakel zu machen wie die Kröten im Krautgarten, also dass er vor dem Wolf, wie er sichs einredete, nichts mehr zu fürchten hatte. Und weil er der Worte seiner Meuder gedacht – also heißen die Mütter im Spessart – dass sie ihm oft vorgesungen und gesagt hatte: «Hör, Bub, und sings mir nach, wenngleich ich Sorge hab, die Ochsen könnten von deinem Gesang dahinsterben!» Also warf sich der Simplicius fortan auch fleißig aufs Singen, wenn er die Wiese abweidete, damit die Arznei wider den Wolf um so kräftiger ausfalle. 



LIED    EINS (3) 

Will nicht gar so bitter schauen,

Noch ists nicht das letzte Glas,

Unser Glück, was ist denn das?

Gut Genuss und guts Verdauen!

Lass ich gleich nicht viel zu erben,

Ei, so hab ich edlen Wein,

Will mit allen lustig sein,

Muss ich gleich alleine sterben.



ERZÄHLERIN

Und wie der Simplicius also eines Tags in die Wolken hinauf singt, ward er samt der Herd Schafe von einem Trupp Soldaten umgeben, welche im Wald verirrt gewesen, und durch sein Geschmetter wieder zurecht gebracht worden.


SIMPLICIUS

Hoho, gedacht ich, dies sind dir die vierbeinigen Bestien, davon dir dein Knan erzählt hat, denn ich sah Pferd und Mensch für ein einzige Kreatur an, und vermeint nicht anders, als es müssten Wölf sein, und wollt sie fortjagen. 


ERZÄHLERIN

Der Simplicius hatte aber seine Sackpfeifen kaum aufgeblasen, da tappt ihn einer von den Soldaten beim Flügel und schleift ihn so ungestüm auf ein Pferd, dass er auf der andern Seit wieder hinab auf seine liebe Sackpfeifen fallen musst, welche ganz erbärmlich anfing zu schreien. 


SIMPLICIUS

Aber es half nichts, ich musst gleich wieder hoch aufs Pferd. Ich dacht, diese Fremden seien nur zu dem End da, mir die Schafe helfen heimzutreiben, weil doch alle geraden Wegs meines Knans Hof zueilten. 


ERZÄHLERIN

Die Soldaten sahen sich auch gleich im Hof um, dann stellten sie ihre Pferde ein. Danach wusst jeder sich Arbeit zu schaffen …


SIMPLICIUS

… also dass einige anfingen zu metzgern, zu sieden und zu braten, dass es aussah, als sollte ein lustig Bankett gehalten werden, so waren hingegen andere – die durchstürmten das Haus unten und oben.


ERZÄHLERIN

Andere schnürten von Tuch, Kleidern und allerlei Hausrat große Packen zusammen, als ob sie irgends einen Krempelmarkt ausrichten mochten. 


SIMPLICIUS

Etliche durchstachen Heu und Stroh mit ihren Degen, als ob sie nicht Schaf und Schwein genug zu stechen gehabt hätten.


ERZÄHLERIN

Bis dass sie zum End Menschen und Vieh zusammentrieben und in den Hof brachten.


SIMPLICIUS

Den Knecht legten sie gebunden auf die Erd, steckten ihm ein Sperrholz ins Maul, und schütteten ihm einen Melkkübel voll garstig Mistlachenwasser in den Leib. Das hießen sie einen Schwedischen Trunk. 


ERZÄHLERIN

Die Magd ward im Stall dermaßen traktiert, dass sie nicht mehr auf die Füß kommen konnte. 


SIMPLICIUS

Da steckten sie auch einen von den gefangenen Bauern in den Backofen, und waren mit Feuer hinter ihm her, ohnangesehen er noch nichts verplaudert hatte. Und einem andern machten sie ein Seil um den Kopf und drehten es mit einem Knüppel rundherum zusammen, dass ihm das Blut zu Mund, Nas und Ohren heraussprang. 


ERZÄHLERIN

Da fing man an, aller Daumen festzuschrauben, und die armen Schelme so zu foltern, als wenn man hätt Hexen brennen wollen.


SIMPLICIUS

Allein mein Knan, der war der Glückseligste, so dacht ich, weil ichs nicht besser gewusst, nämlich weil er mit lachendem Mund bekannte, was andere mit jämmerlicher Wehklag sagen mussten. Denn die Soldaten setzten ihn zu einem Feuer, banden ihn, dass er weder Händ noch Füß regen konnte, und rieben seine Fußsohlen mit nassem Salz – welches ihm unsere alte Geiß wieder ablecken und ihn also kitzeln musst, dass er vor Lachen hätt zerbersten mögen. Das kam so vergnügt, dass ich Gesellschaft halber und weil ichs eben nicht besser verstund, von Herzen mitlachen musste. 


ERZÄHLERIN

In solchem Gelächter bekannte der Knan ein Versteck zu einem verborgnen Schatz, welcher von Gold und Perlen viel reicher war, als man ihn in einem Bauernhaus hätt suchen mögen. 


SIMPLICIUS

Von den gefangenen Weibern und Mägden weiß ich sonderlich nichts zu sagen, weil mich die Soldaten nicht hinsehn ließen, wie sie mit ihnen umgingen. Aber das weiß ich noch, dass man es in den Winkeln erbärmlich schreien gehört. 


ERZÄHLERIN

In all diesem Elend drehte der Simplicius den Braten am Spieß, von keiner bösen Ahnung getroffen, und half dann nachmittags die Pferd tränken, also, dass er zur Magd in den Stall kam.


SIMPLICIUS

Die wunderwerklich zerstrobelt aussah. Ich erkannt sie nicht. Sie aber sprach zu mir: «Bub, lauf weg, sonst werden dich die Schlächter mitnehmen, guck, dass du davonkommst!» 


ERZÄHLERIN

Also rennt der Simplicius, ohn noch einmal den Kopf zu wenden, gradaus, nur immer gradaus. Bis er am Abend in einen Wald gekommen.


SIMPLICIUS

Wo nun aber weiter hin, da mir die Wege nicht bekannt waren? 


ERZÄHLERIN

Die schwarze Nacht bedeckte ihn endlich, und er verbarg sich hinter dichtem Gesträuch. Und weil er das Geschrei der gedrillten Bauern aus der Ferne vernahm, legt er sich bei solcher Abendmusik aufs Ohr und hört in Gedanken, eh er einschlief, eins von den Liedern, wie er sie von seiner Meuder kannte. 



LIED    ZWEI 

Der Krieges Buchstab hier zu Hauf

Von eins bis sechs, ich zähl sie auf:

Kummer, der das Mark verzehret, 

Raub, der Hab und Gut verheeret, 

Jammer, der den Sinn verkehret, 

Elend, das den Leib beschweret, 

Grausamkeit, die Unrecht kehret, 

Sind die Frucht, die Krieg gewähret.



ERZÄHLERIN

Als der Morgenstern hervorflackerte, sah von weithin der Simplicius seines Knans Haus in voller Flamme stehen. Er wagte sich näher heran, in Hoffnung, jemand von seinem Knan anzutreffen, der zu löschen kam. Aber da wurd er auch gleich von fünf Reitern gesehn und angeschrien: «Junge, komm her, oder der Teufel soll mich holen, und ich schieß dir eins über, dass dir der Dampf zum Hals rausfährt!»


SIMPLICIUS

Ich blieb ganz stockstill stehen und hatte das Maul offen, und indem ich so hinsah wie die Katz auf ein Scheunentor, die Reiter aber wegen einer tiefen Schlammpfütz nicht zu mir herüber wollten, löst der eine seine Muskete auf mich, von welchem ohnplötzlichen Feuer ich so erschreckt ward, weil ich dergleichen niemals gehört oder gesehen, dass ich in einzigem Augenverdrehn zur Erde niederfiel. Ich regt vor Angst keine Ader mehr, und wiewohl die Reiter ihres Wegs fortritten und mich ohn Zweifel für tot liegen ließen, so hatt ich doch den ganzen Tag das Herz nicht, mich aufzurichten. 


ERZÄHLERIN

Als aber die Nacht wieder hochstieg, rappelt der Simplicius sich zusammen und irrte nun blind im Wald weiter fort. Lief ohn Ausruhn immer tiefer in den Wald hinein.


SIMPLICIUS

Wär ein Tier an meiner Stell gewesen, so hätt es besser gewusst als ich, was es zu seiner Erhaltung hätt anstellen sollen. Aber war ich doch immerhin so gewitzt, als mich abermal die Nacht anhält, dass ich in einen hohlen Baum kroch, mein Nachtlager darinnen zu halten.


ERZÄHLERIN

Kaum hatte der Simplicius sich zum Schlaf eingerichtet, da hört er eine Stimme. 


SIMPLICIUS

Und ich fass mir ein Herz, geh aus meinem hohlen Baum und komm der Stimm näher.


ERZÄHLERIN

Da wird der Simplicius eines alten Mannes gewahr, in schlohweißen Haaren, die ihm ganz verworren auf den Achseln liegen. Der Alte hatte einen wilden Bart, beinah verlöchert wie ein Schweizerkäs, sein Angesicht war bleich und mager, sein langer Rock mit tausend Stückern von allerhand Tuch überflickt und aufeinandergesetzt, und sah auch sonst so scheußlich und furchterweckend aus, dass der Simplicius anfing zu zittern wie ein nasser Hund. 


SIMPLICIUS

Was aber meine Angst noch mehr auftrieb, war, dass der Scheußliche ein Kreuz von ohngefähr sechs Schuh lang an seine Brust drückte, und weil ich so einen nicht kannte, konnt ich nichts anders glauben als: Dieser Scheußliche müss jetzt aber ohn Zweifel der Wolf sein.


ERZÄHLERIN

In solcher Angst wischte der Simplicius seine Sackpfeifen hervor, welche er als seinen einzigen Schatz noch vor den Soldaten gerettet hatte.


SIMPLICIUS

Und ich blies zu, stimmte an, und ließ mich gewaltig hören, diesen gräulichen Wolf zu vertreiben. Über welcher ohngewöhnlichen Musik, an einem so wilden Ort, der Scheußliche erst nicht wenig stutzte, ohn Zweifel vermeinend, es sei etwa ein teuflisch Gespenst kommen. Da er sich aber erholt, spottet er meiner als seines Versuchers im hohlen Baum, wo hinein ich mich wieder geflüchtet hatte.


ERZÄHLERIN

«Ha», rief der Alte und lachte, «du also bist der Gesell, einen Einsiedel zu versuchen, ha …» – mehr hatte der Simplicius nicht verstehen können, denn, indem der Alte näher kam, erregte er ein solch Grausen und Schrecken in dem Simplicius, dass der, seiner Sinne beraubt, in Ohnmacht niedersank.


SIMPLICIUS

Was mir wieder zu mir selbst geholfen, weiß ich nicht, aber dieses wohl, dass der Einsiedel meinen Kopf in seinen Schoß gelegt und hatte vorn meine Juppen geöffnet. 


ERZÄHLERIN

Da der Simplicius den Alten aber so nahe bei sich sah, fing er ein solch grausam Geschrei an, als ob man ihm denselben Augenblick das Herz aus dem Leib hätt reißen wollen.


SIMPLICIUS

«O du frisst mich! O du frisst mich! Du bist der Wolf und willst mich fressen!»


ERZÄHLERIN

«Ei, jawohl nein, mein Sohn», sagte der Einsiedel, «sei ruhig, ich fress dich schon nicht!» – Dies Gefecht währte so lang, bis der Simplicius sich endlich ließ weisen, mit dem Alten in seine Hütte zu gehn. 


SIMPLICIUS

Da wurde mein Magen mit einem Gemüs und einem Trunk Wassers gelabt, und meine Seel, so ganz verwirrt, durch des Alten tröstliche Freundlichkeit wieder aufgericht und zurecht gebracht. Und weil mir die Augen schon bald zufallen wollten, ließ mir der Alte den Platz allein in seiner Hütten, weil nur einer darin liegen konnt. 


ERZÄHLERIN

Der Simplicius erwachte nicht bis in den neuen Tag, da der Einsiedel vor ihm stand und sagte: «Auf, Kleiner, ich will dir Essen geben, und alsdann den Weg durch den Wald weisen, damit du wieder zu den Leuten findest und noch vor der Nacht in das nächste Dorf kommst.»


SIMPLICIUS

Ich fragte ihn: «Was sind das für Dinger: Leuten und Dorf?» 


ERZÄHLERIN

Er sagte: «Bist du denn niemals in einem Dorf gewesen? Und weißt auch nicht, was Leut oder Menschen sind?» 


SIMPLICIUS

«Nein», sagt ich, «nirgends als hier bin ich gewesen. Aber sag mir doch, was sind Leuten und Dorf?» 


ERZÄHLERIN

«Behüt Gott», antwortet der Einsiedel, «bist du närrisch?» 

SIMPLICIUS

«Nein», sagte ich, «meiner Meuder und meines Knans Bub bin ich, und nicht der Närrisch!» 


ERZÄHLERIN

Der Einsiedel verwunderte sich mit Seufzen und Bekreuzigung und sagte: «Wohl liebes Kind, mir ist befohlen, dich um unseres Schöpfers willen besser zu unterrichten. Wie heißest du?


SIMPLICIUS

Ich heiß Bub.


ERZÄHLERIN

Ich sehe wohl, dass du kein Mägdlein bist, wie hat dich aber dein Vater und Mutter gerufen?


SIMPLICIUS

Ich hab kein Vater und Mutter.


ERZÄHLERIN

Wer hat dir denn das Hemd geben?


SIMPLICIUS

Ei, mein Meuder.


ERZÄHLERIN

Wie ruft dich denn dein Meuder?


SIMPLICIUS

Sie hat mich Bub gerufen, auch Schelm. Auch Tölpel und Galgenvogel.


ERZÄHLERIN

Wer ist denn deiner Meuder Mann gewesen?


SIMPLICIUS

Niemand.


ERZÄHLERIN

Bei wem hat denn dein Meuder des Nachts geschlafen?


SIMPLICIUS

Bei mein Knan.


ERZÄHLERIN

Wie hat dich denn dein Knan geheißen?


SIMPLICIUS

Auch Bub.


ERZÄHLERIN

Wie heißt aber dein Knan?


SIMPLICIUS

Er heißt Knan.


ERZÄHLERIN

Wie hat ihn aber dein Meuder gerufen?


SIMPLICIUS

Knan. Und auch Rüpel, grober Klotz, volle Sau – und noch anders, wenn sie mit ihm gehadert.


ERZÄHLERIN

Du bist wohl ein unwissender Tropf, dass du weder deiner Eltern Namen noch den eignen nicht weißt!


SIMPLICIUS

Ei, weißt dus doch auch nicht.


ERZÄHLERIN

Kannst du beten?


SIMPLICIUS

Nein, mein Meuder hat als die Betten gemacht.


ERZÄHLERIN

Ob du das Vaterunser kannst, frag ich!


SIMPLICIUS

Unser lieber Vater, der du bist Himmel, heiliget werde Nam zu kommes Reich, gib uns Schuld als wir Schuldigern geben, führ uns in bös Versuchung und erlös uns von dem Bösen, amen.


ERZÄHLERIN

Warum denn so hastig heruntergeschnurrt?


SIMPLICIUS

So haben wirs immer gemacht.


ERZÄHLERIN

Hör, Simplicius, hör, du heilige Einfalt, denn anders kann ich dich nicht nennen, wüsst ich nur, wo deine Eltern wohnen, ich würde dich wieder hinbringen und sie zugleich lehren, wie sie Kinder aufziehen sollten. Nun fang an und iss! Und dann wirst du gehn.


SIMPLICIUS

Ich weiß nicht, wo ich hin soll, sagt ich drauf, unser Haus ist verbrennt. Es sind eiserne Männer kommen, die sind auf Dingern gesessen, groß wie Ochsen ohn aber die Hörner, die Männer haben Schaf und Küh und Säu gestochen, und da bin ich fort, und da ist danach das Haus verbrennt gewesen.


ERZÄHLERIN

Wo hinaus willst du aber jetzt?


SIMPLICIUS

Weiß nicht – sagt ich. Und ich such die allerzartesten Worte hervor, die mir mein Inneres hergeben wollte, welche alle dahin gingen, den Einsiedel zu bewegen, dass er mich bei sich behalte.


ERZÄHLERIN

Ob es dem Einsiedel auch beschwerlich war, den Simplicius und sein unruhiges Wesen zu dulden, so hat er dann doch beschlossen, ihn bei sich zu leiden, darum, dass er ihn in der christlichen Religion unterrichten wollt. Und mit den Wochen fand er ein sonderliches Gefallen an dem Einfältigen, weil er sah, dass der begierig seine Unterweisungen hörte. 


SIMPLICIUS

Der Einsiedel machte den Anfang mit dem Fall Luzifers.


ERZÄHLERIN

Dann führte er in das Paradies und zu den Zehn Geboten …


SIMPLICIUS

… und er sagte, die seien  eine wahre Richtschnur, den Willen Gottes zu erkennen. 


ERZÄHLERIN

Endlich kam er auf das Evangelium, und sprach von Christi Geburt, Leiden und Sterben und Auferstehung. Und zuletzt beschloss ers mit dem Jüngsten Tag.


SIMPLICIUS

Mithin lernte ich auch besser beten. 


ERZÄHLERIN

Und der Einsiedel beschloss, den Simplicius bei sich zu halten, und sie bauten eine Wohnung gleich der seinigen von Holz, Reisern und Erde.


SIMPLICIUS

Gar so nieder, dass ich kaum aufrecht darin sitzen konnt. Und mein Bett war von dürrem Laub und ebenso groß als die Wohnung selbst.


ERZÄHLERIN

An den Werktagen taten sie, was am nötigsten zu tun war. Einmal war Arbeit im Garten …


SIMPLICIUS

… bald flochten wir Körbe oder Fischreusen oder taten andres wider den Müßiggang. 


ERZÄHLERIN

Unter solchen Geschäften ließ der Einsiedel nicht ab, den Simplicius in allem Guten und Nützlichen zu unterweisen, im Schreiben und Lesen auch, und der Simplicius lernte Hunger, Durst, Hitz, Kälte und harte Arbeit überstehen und zuvörderst auch Gott erkennen und wie man ihm rechtschaffen dienen soll. 

 

SIMPLICIUS

Ob ich zwar in geistlichen Sachen ziemlich gelehrt wurde, mein Christentum wohl verstund, und die deutsche Sprach bald so schön redete und auch schrieb, als wenn die Orthographia selbst sie hätt gesprochen und auf die Birkenrind hingeschnörkelt, blieb ich doch immer der Simplicius, oder wie mein Einsiedel sagte: die heilige Einfalt.


ERZÄHLERIN

Zwei Jahr ohngefähr hatte der Simplicius beim Einsiedel zugebracht und war an das harte Leben kaum gewöhnt, als ihm der Alte an einem Morgen eine Schaufel in die Hand gab und ihn, der täglichen Gewohnheit nach, in den Garten führte, da sie ihr Gebet zu verrichten pflegten: «Nun, Simplicius, liebes Kind», sagte er, «die Zeit ist gottlob kommen, dass ich aus dieser Welt scheiden und dich hinter mir lassen soll.»


SIMPLICIUS

Diese Wort waren mir so schwer, dass ich sie nicht begreifen wollt, doch sagt ich: «Herzliebster Vater, willst du mich denn allein in diesem wilden Wald lassen?» Mehr vermocht ich nicht herauszubringen, denn meines Herzens Qual ward ohnplötzlich so heftig, dass ich gleichsam wie tot niedersinken wollt. 


ERZÄHLERIN

«Ach, mein Sohn, lass mich fahren», sprach der Alte.» Dann ging er daran, sein Grab zu machen, legte den Rock ab und begab sich in das Grab, gleichsam wie einer, der sich schlafen legen will.


SIMPLICIUS

Ich aber stund da wie ein Stockfisch und meinte, dass seine liebe Seel den Leib gar nicht verlassen werde, weil ich ihn öfters in dergleichen Verzückung gesehen hatte. Ich verharrte etlich Stunden neben dem Grab im Gebet – als sich aber mein allerliebster Einsiedel nicht mehr aufrichten wollt, stieg ich zu ihm ins Grab hinunter und fing an, ihn zu schüttlen, zu küssen und hin und her zu drücken, aber da war kein Leben mehr. 


ERZÄHLERIN

Der Simplicius übergoss den entseelten Körper mit seinen Tränen, und nachdem er lange mit jämmerlichem Geschrei umhergelaufen, fing er an, den Einsiedel mit mehr Seufzern als Schaufeln voller Erde einzuscharren. Und ein Lied seiner Meuder wollt ihm lange nicht aus dem Kopf.



LIED    DREI 

Ich seh, wohin ich seh, nur Eitelkeit auf Erden,

Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein,

Wo jetzt die Städte stehn, so hoch im Mittagsschein,

Bald brichts zu Acker für den Hirt mit seinen Herden.


Was jetzt so prächtig blüht, wird bald zertreten werden,

Der jetzt so tönt und trotzt, lässt übrig Asch und Bein,

Nichts ist, das auf der Welt könnt unvergänglich sein,

Jetzt scheint des Glückes Sonn, bald donnerts 

mit Beschwerden.



ERZÄHLERIN

Über etliche Zeit ist der Simplicius tapfer in des Einsiedels Fußstapfen gegangen, den ganzen Sommer hindurch. Er fasste den Vorsatz, nicht hinauszugehen in die Welt, war fromm und betete unermüdlich. Aber gleich wie die Zeit alles umstößt, also endete auch nach und nach das Leid, das er um seinen Einsiedel trug. 


SIMPLICIUS

Je mehr ich anfing zu wanken, ob ich im Wald bleiben sollt, je träger wurde ich in meinem Gebet, weil: Anstatt göttlich und himmlische Ding zu betrachten, überkam mich die Begierde, die Welt zu beschaun. So dacht ich, als die Morgensonn wieder einmal so hell über meinem Wald aufgegangen und von anderswo zu erzählen anfing, dass ich dorthin gehen müsst.


ERZÄHLERIN

Er nahm seine Bücher vom Boden auf und rief zugleich Gott inniglich an, er möcht ihn doch leiten, wohin er nun gehen solle …


SIMPLICIUS

… da fand ich ohngefähr ein Brieflein, das der Einsiedel bei seinem Leben noch geschrieben hatte …


ERZÄHLERIN

 «Lieber Simplicius», las er, «wenn du dies Brieflein findest, so bin ich bei meinem Gott, und du geh alsbald aus dem Wald, denn es ist eine Stimm in dir, die ruft dich hinaus in die Welt. Gott, den du allweg vor Augen haben sollst, wird dich zu Menschen bringen an einen Ort, wo man mich kennt, und so wird man dich in Liebe dort aufnehmen. Adieu.»


SIMPLICIUS

Ich küsste das Brieflein viel tausendmalen und machte mich auf den Weg, diese Menschen und Ort zu suchen. 


ERZÄHLERIN

Den dritten Tag, da der Simplicius aus dem Wald fortgegangen …


SIMPLICIUS

… begab ich mich auf eine Stadt zu, die Gelnhausen geheißen, wie ich später erfuhr, und fand daselbst die Stadttor offen, die zu großem Teil verbrennt und noch halber mit Mist verschanzt waren. Ich ging hinein in die Stadt, konnt aber keines lebendigen Menschen gewahr werden, hingegen lagen die Gassen hin und her mit Toten überstreut, deren etliche bis aufs Hemd ausgezogen waren. 


ERZÄHLERIN

In seiner Einfalt konnt der Simplicius nicht begreifen, was für ein Unglück die Stadt in solchen Stand gesetzt haben mochte. Kaum zwei Steinwürf weit kam er hinein, als er sich auch schon satt gesehen. Er kehrte um, und weil es ihn grauste vor dem Schrecklichen, sang er den Weg entlang laut zum Himmel hinauf ein Lied, das er einmal von seiner Meuder gehört hatte, und das ihm all das Grausen vertreiben sollt: das Lied vom Kriegshund, der mit sich selber redet.



LIED    VIER 

Hunde, die das Vieh behüten, 

Hund, die an der Leine wüten, 

Hunde, die zu Tische schmeicheln, 

Hund, die Frauenhände streicheln, 

Hunde, die zum Mond hin jaulen,

All zusammen: Sind die Faulen. 


Aber ich bin von den Hunden, 

Die sich in den Krieg gefunden! Ha-ha-ha-ha,

Bleibe nur, wo Helden bleiben, 

Wenn sie Küh und Pferde treiben, 

Habe Bündnis mit den Dieben, 

Trag am Rauben ein Belieben. 


Pfleg ich, bin ich in Quartieren, 

Gäns und Hühner zuzuführen, 

Kann die schlauen Bauern suchen, 

Wenn sie sich ins Holz verkruchen, ha-ha-ha-ha,

Kann ich sie von dannen hetzen, 

Dass sie Hut und Schuh versetzen. 


Kann durch Schaden, kann durch Zehren 

Helfen, Haus und Hof verheeren, ha-ha-ha-ha,

Cavalliers, die kann ich leiden, 

Bauern müssen mich vermeiden; 

Bin nun drum in meinem Orden

Hundecavallier geworden.



ERZÄHLERIN

Der Simplicius ging durch die Au und Wiesen weiter und weiter und kam endlich auf eine Landstraße, die ihn am Mittag vor die Festung Hanau trug. Er nahm den Weg gradaus über die Zugbrücke …


SIMPLICIUS

… und sobald ich am Stadttor auf die Wache treff, will ich durchgehen. Aber mir kamen gleich die Soldaten auf den Leib, die schüttelten sich vor Lachen, als ich vor sie hintrat. Dann packten sie mich wie ein elend Gespenst und schleiften mich durchs Tor in die Festung.


ERZÄHLERIN

Hier – geneigte Herren und großgütige Damen – muss zuvor vom damaligen Aussehen des Simplicius gesprochen werden, eh zu sagen ist, wie es ihm weiter erging. Denn seine Kleidung und Gebärden waren durchaus verwunderlich. Erstlich war des Simplicius‘ Haar seit drei Jahrn nicht mehr weder auf griechisch, deutsch noch französisch abgeschnitten, gekampelt noch gekräuselt oder gebüfft worden, sondern sie stunden in ihrer natürlichen Verwirrung noch mit mehr als dreijährigem Staub so auf seinem Kopf, dass er darunter hervorsah mit seinem bleichen Angesicht wie eine Schleiereul, die auf eine Maus spannt. 


SIMPLICIUS

Und weil ich allzeit barhäuptig zu gehen pflegte, meine Haar aber von Natur kraus waren, hatte es das Ansehen, als wenn man mir eine Schüssel Käsfäden obenüber gekippt hätte. 


ERZÄHLERIN

Das übrige Habit stimmte mit der Haarpracht überein, denn der Simplicius hatte seines Einsiedels Rock übergeworfen, von welchem jetzt wenig mehr übrig gewesen, nämlich nur: tausend Stücklein allerhandfarbiges, zusammengesetztes oder durch vielfältig Flicken aneinandergenähtes Tuch. 


SIMPLICIUS

Über diesem Rock trug ich ein Hemd ohn alle Ärmel, die ich nämlich anstatt eines Paar Strümpf brauchte. 


ERZÄHLERIN

Ob nun zwar ein jeder Verständige aus dem magern und ausgehungerten Anblick ohnschwer hätt schließen können, dass der Mensch da von keines großen Herrn Hof entlaufen, so wurde der Simplicius doch von der Wache streng examiniert. Und gleichwie sich die Soldaten an ihm vergafften, also betrachtete er ihres Offiziers tollen Aufzug. 


SIMPLICIUS

Ich konnt nicht sagen, ob der Offizier ein Sie oder Er gewesen, denn er trug Haar und Bart auf französisch – so nannte mans, wie ich später erfahren. Zu beiden Seiten hatte er lange Zöpf herunterhangen wie Pferdsschwänz, und sein Bart war so elend zugerichtet und verstümpelt, dass zwischen Maul und Nasen nur noch wenig kurz gestupfeltes Haar dazwischen stand. Ich dacht bei mir selbst, ist dies ein Mann, so sollte er auch einen Bart haben. Ists aber ein Weib, warum hat sie dann so viel Stupfeln ums Maul? Nicht weniger setzten mich seine weiten Hosen in Zweifel, als welche mir eher einen Weiberrock als ein Paar Mannshosen vorstellten. Und da ich also nicht wusste, was die jetzige Mode war, hielt ich ihn endlich für Mann und Weib zugleich.


ERZÄHLERIN

Der Offizier ließ den Simplicius gewissenhaft durchsuchen, fand aber nichts bei ihm als ein Buch von Birkenrinden, darin die täglichen Gebete geschrieben – welches Buch auch jenes Zettelchen innen liegen hatte, das der Einsiedel zum Abschied hinterlassen. 


SIMPLICIUS

Sie führten mich zum Stadthauptmann, und viel Leut liefen hinzu, als wenn ein Wundertier auf die Schau geführt würde. Und gleichwie mich jedweder sehen wollt, also machte auch jeder etwas Besonders aus mir, etliche hielten mich für einen Spion, andere für einen Hanswurst, aber andere auch für einen Geist oder gar für eine jenseitige Erscheinung. 


ERZÄHLERIN

Nachdem der Simplicius vor den Stadthauptmann gebracht worden, fragt der, wo solch ein Narr denn herkäme? 


SIMPLICIUS

Ich antwortet, ich wüsste es nicht. 


ERZÄHLERIN

Er fragt weiter: «Wo willst du denn hin?»


SIMPLICIUS

«Ich weiß nicht.»

 

ERZÄHLERIN

«Was Teufel weißt du denn? Was ist denn dein Beruf?»


SIMPLICIUS

«Ich weiß nicht.»


ERZÄHLERIN

«Wo bist du zu Haus?»


SIMPLICIUS 

«Ich weiß nicht», gab ich die Antwort. Da aber verändert er sich im Gesicht, obs aus Zorn oder Verwunderung geschah – ich weiß nicht. 


ERZÄHLERIN

Dieweil nämlich jedermann in der Festung das Böse argwöhnte, stimmte der Stadthauptmann denen bei, die den vermeintlich Närrischen für einen Verräter oder gar feindlichen Kundschafter hielten. Befahl also, man solle ihn durchsuchen! Und als er hörte, dass solches schon geschehen, und nichts gefunden worden als gegenwärtiges Büchlein, welches ein Soldat dem Stadthauptmann überreichte … 


SIMPLICIUS

… liest der ein paar Zeilen daraus und fragt mich dann, wer mir das Büchlein gegeben? Ich antworte, es sei von Anfang mein eigen gewesen, denn ich hätt es selbst gemacht und geschrieben. 


ERZÄHLERIN

Da wandte sich der Stadthauptmann zu seinen Offiziers und sagte: «Ein Narr wird er nicht sein, weil er so schön schreiben kann.» Und indem er redet, blättert er im Büchlein, ihnen die Handschrift zu zeigen – also dass des Einsiedels Brieflein herausfallen musste, und er lässt es aufheben. 


SIMPLICIUS

Als er aber das Brieflein aufgemacht und überlesen hatte, sagt er mit ganz merkwürdiger Stimm: «Ich kenn diese Handschrift, ich kenn sie. Weiß aber nicht zu erinnern, wem sie gehört.» Mich aber blickt er eine Weil an und sagt am End: «Mir ist, als hätt ich so ein Gesicht schon gesehn!» Dann fragt er nach meinem Namen.

 

ERZÄHLERIN

Und als der Stadthauptmann die Antwort hörte: Simplicius! – lacht er laut auf: «Spielt uns die Einfalt! Ja ja, so ein Simplicius Simplicissimus ist eben doch vom rechten Kraut eines Spions! Weiß der Teufel, woher du stammst! Fort mit ihm! Dass man ihn an Hand und Fuß in Eisen schließe!» 


SIMPLICIUS

Also nahmen zwei der Soldaten mich mit nach dem Stockhaus, wo man mich mit eisernen Ketten an Händ und Füßen zierte. 


ERZÄHLERIN

Und gleich kamen auch Henker und Steckenknecht mit Foltereisen dazu, die machten dem Simplicius seinen elenden Zustand erst so ganz wahrhaftig, denn sie waren jetzt seine Begleitung bis hin zum Diebsturm.


SIMPLICIUS

Und als ich, von den Schergen umringt und samt einer großen Menge Volks vorm Turm stund, zu warten bis aufgemacht und ich hineingestoßen werd …


ERZÄHLERIN

… macht sich hinter ihnen aus einem der Fenster mit einmal der Stadthauptmann bemerkbar und ruft den Soldaten zu: «Halt! Lasst ihn! Bringt ihn wieder her!» 


SIMPLICIUS

Also schleiften sie mich wieder zum Stadthauptmann. Und ein halbe Stund hernach wurd ich in die Gesindstube gesetzt, allwo sich schon zwei Schneider, ein Schuster mit Schuhn, ein Kaufmann mit Hüten und Strümpfen, und ein anderer mit allerhand Gewand eingestellt, damit ich gekleidet würd. Da zog man mir den Rock ab, auf dass die Schneider das Maß recht nehmen könnten, sodann erschien ein Feldscherer, mit scharfer Laugen und wohlriechender Seifen, und eben als dieser seine Kunst an mir üben will, kommt ein anderer Befehl, welcher mich gräulich erschreckt, weil er lautet: Ich soll mein Habit wieder anziehen!


ERZÄHLERIN

Und da kommt auch gleich ein Maler, den nämlich der Stadthauptmann hatte rufen lassen, mit seinem Werkzeug daher. 


SIMPLICIUS

Der Maler fing an, mich zu beschauen, aufs Papier zu reißen, zu übermalen, den Kopf auf die Seit zu hängen, um seine Arbeit gegen meine Gestalt genau zu betrachten, bald ändert er durch eine Brill die Augen in mein Angesicht, bald durch eine andre Brill die Haar, geschwind die Naslöcher, und in Summa dann alles, was er auf Anhieb nicht recht gemacht. Bis er endlich ein Muster entworfen hatte von mir, wie ich es ihm mit meiner damaligen Natur vorstellte. 


ERZÄHLERIN

Alsdann durfte der Feldscherer über den Simplicius herwischen, zwängte ihm den Kopf ein und richtet wohl anderthalbe Stund an seinen Haaren und schnitt sie ab auf die damalige Mode. 


SIMPLICIUS

Dann setzt er mich in eine Badewann und säubert meinen Leib von mehr als vierjährigem Dreck. 


ERZÄHLERIN

Kaum war der Feldscherer fertig, bracht man ein weißes Hemd, Schuhe und Strümpf   


SIMPLICIUS

… auch Hut und Feder. Auch waren die Hosen schön geschnitten und überall mit Galaunenbändern besetzt … 


ERZÄHLERIN

… allein, es mangelte noch am Wams, daran die Schneider aber auf die Eil schon in Arbeit waren.


SIMPLICIUS

Der Koch stellt sich gegen End der Prozeduren mit einem kräftigen Braten ein, denn man hatte es wohl gehört, wie mir ungeniert der Magen geknurrt, und eine Mamsell kommt mit einem Trunk, den sie einen «ohnvergleichlich Rheinischen Wein» geheißen.


ERZÄHLERIN

Da saß der Herr Simplicius also am End wie ein junger Graf, zum besten ausstaffiert, futterte tapfer zu …


SIMPLICIUS

… und die Erkostung dieses herrlichen Anfangs tat mir so trefflich kirr und sanft, dass ichs keinem Menschen sagen und rühmen kann. Ja ich glaube schwerlich, dass ich mein Lebtag je eine größere Lust empfunden, als eben damals. 


ERZÄHLERIN

Da nun das Wams endlich fertig war, schlüpft der Herr Simplicius hinein. Aber er stellte in diesem neuen Kleid eine solch ungeschickte Positur vor aller Augen, dass es aussah, als wenn man das Wams einem Zaunstecken übergeworfen.


SIMPLICIUS

Weil mir die Schneider das Wams nämlich zu weit machen mussten, um der Hoffnung willen, ich würd in kurzer Zeit um einiges Fleisch zulegen. 


ERZÄHLERIN

Das Fetzenkleid, das man ihm abgenommen, samt allem Dazubehör wurde zu andern Antiquitäten in des Stadthauptmanns Kunstkammer getan und das Malerbildnis danebengestellt.


SIMPLICIUS

Nach dem Abendessen wurd ich in ein Bett gelegt, dergleichen mir niemals weder bei meinem Knan noch beim Einsiedel zuteil geworden. Aber mein Bauch knurret und murret die ganze Nacht hindurch, dass ich nicht schlafen kann. Vielleicht keiner andern Ursach wegen, als weil ich mich über die anmutigen neuen Speisen, die man mir hineingeschippt, doch sehr verwunderte.


ERZÄHLERIN

Den Morgen drauf befahl man den Simplicius zum Stadthauptmann. Dort musst er erzählen, wo er gelebt und gewohnt und wer ihn zu schreiben und lesen gelehrt. Und endlich sagte der Stadthauptmann: «Die Schrift – ich ahnte es, ich hab sie mir lange angesehn und in andern Briefen verglichen: Sie ist mir vertraut. Es ist die Handschrift meines Schwagers, der sich eines Tags abwandte vom Lärmen der Welt und in den Wald zog, wo er als Einsiedel leben wollte. Und jetzt, so sagen mir die Zeilen, die er dir aufgeschrieben, ist er gestorben – und du? Siehst ihm im Gesicht gleich und bist am End sein Sohn?»


SIMPLICIUS

«Mein Einsiedel hat mich allweg sein heilige Einfalt genannt», antwortet ich.


ERZÄHLERIN

Da lachte der Stadthauptmann …


SIMPLICIUS

… und dass er mir wegen seines Schwagers selig nun Gutes tun wolle, versprach er. 


ERZÄHLERIN

Also wurde der Simplicius des Stadthauptmanns Page.


SIMPLICIUS

Und seine Gunst vermehrte sich mir täglich. Weil ich nicht allein dem Einsiedel gleichsah, sondern auch dem Stadthauptmann selbst: Indem die guten Speisen, guten Weine und faulen Tage mich in Kürze ganz wie ihn glatthäutig und rundbauchig machten. 


ERZÄHLERIN 

Einmal hatte der Stadthauptmann seinen Offiziers ein fürstlich Gelage bereitet. Da musst der Simplicius, wie denn sein Amt war, mit den andern Tischdienern helfen und Speisen auftragen, einschenken und aufwarten.


SIMPLICIUS

Da wurd mir ein großer fetter Kalbskopf aufzutragen eingehändigt. Weil nun derselb ziemlich mürb gesotten war, ließ er das eine Aug mit zugehöriger ganzer Substanz ziemlich weit herauslappen, welches mir ein anmutiger und verführerischer Anblick war. Und weil mich der frische Geruch von der Speckbrühe und aufgestreutem Ingwer zugleich anreizete, empfand ich einen solchen Appetit, dass mir das Maul ganz voll Wasser wurde. In Summa: Das Aug lacht meine Augen an und bittet mich gleichsam, ich sollt es doch meinem heißhungrigen Magen einverkosten. Und da ließ ich mir nicht lang den Rock zerreißen, sondern folgte meiner Begier. 


ERZÄHLERIN

Als man den Kalbskopf dann aber auf dem Tisch hatte und wollt ihn zerlegen, da sieht der Stadthauptmann gleich, dass der Simplicius ihm einen einäugigen Kalbskopf aufzustellen den Witz gehabt. Also fragt er ihn, wohin es mit dem fehlenden Kalbsaug gekommen sei? 


SIMPLICIUS

«Ich, ich …», entfuhrs mir, und geschwind holte ich den Löffel aus dem Hosensack, mit dem ich das Aug hatt herausgelappt und gab nun ein Bild von dem, was man von mir wissen wollt – nämlich: Ich langte wieder mit dem Löffel zu, also dass ich auch das andere Aug gleich wie das erste in einem Hui herauslappte und vor aller aufgerissenen Blicken hinunterschlang. 


ERZÄHLERIN

Da war eine lange Stille am Tisch.


SIMPLICIUS

«Par Dieu!», ließ sich dann der Stadthauptmann in seiner Hauptmannssprach vernehmen, «solche Dreistigkeit mundet doch besser als noch zehn Kalbsaugen obenauf!» 


ERZÄHLERIN

Die Tischgesellschaft lobte den Ausspruch und nannte die Tat des kühnen Aufwärters Simplicius eine kluge Erfindung und Vorbedeutung künftiger Tapferkeit. 


SIMPLICIUS

Zu der Mahlzeit war man ganz christlich versammelt. Man sprach das Tischgebet sehr andächtig, gleichsam als wenn man in einem Kirchenkonvent gegessen. Aber kaum hatte jeder drei oder viermal «Gesegne Gott!» gesagt, da wurd auch schon alles viel lauter. 


ERZÄHLERIN

Man brachte Gerichte, Vorspeis genannt, die hatte man kräftig gewürzt und waren vor dem Trunk zu genießen, damit derselbe desto besser hinterherging. Darauf wurden Beispeisen gereicht, allerhand französische Potagen und spanische Olla Potriden, welche durch tausendfältig kunstvolle Zubereitung und Zusätz dermaßen verpfeffert, überdümmelt, vermummt, mixtiert und zum Trunk gerüstet waren, dass sie wegen all der Zutaten und Gewürz in ihrer Substanz sich grundauf verändert hatten. 


SIMPLICIUS

Ich dacht mir: Warum sollten solche Zusätz nicht auch dem Menschen seine Sinne verändern und verstören, oder ihn gar zu einer Bestie machen? Ich sah nämlich, dass die aus der Gesellschaft fraßen wie die Säu, darauf soffen wie die Küh, sich dabei stellten wie die Esel, und alle endlich speiten wie die Gerberhund! Den Wein gossen sie mit kübelmäßigen Gläsern in die Mägen hinunter, welches Wirkung gleich oben im Kopf verspüren ließ. 


ERZÄHLERIN

Ja man machte zuletzt mit Trommeln und Pfeifen tüchtig Lärm, dass der Wein die Mägen mit Gewalt einnehmen sollte. Und als der Simplicius dergestalt mit einem Teller in der Hand vor der Tafel aufwartet – schürt ihm sein Bauch ohn alle Ankündigung eine plötzliche Unruhe.


SIMPLICIUS

Oh, er knurret und murret ohn Unterlass, und gab dadurch zu verstehen, dass Dünst in ihm vorhanden wären, die in freie Luft begehrten, und ich gedacht, mir von dem Gerümpel abzuhelfen, den Weg zu öffnen, und mich dabei zu bedienen, wie ich es bei einem der Aufwärter in der Küch gesehen hatte: Ich hob, wie der es gemacht, das linke Bein in die Höh auf, drückte von allen Kräften anmutig, was ich konnte, und wollt, dass es dann ganz heimlich und ohne Laut abging. Als aber, was da zum Hintern hinauswischte, wider mein Verhoffen so gräulich laut tönte, wusst ich vor Schrecken nicht, was zu tun war. Hierdurch bekam ich wohl Linderung in meinem Eingeweid, dagegen aber einen ungnädigen Herrn an meinem Stadthauptmann. Seine Gäst wurden über diesem unversehenen Knall fast wieder alle nüchtern, ich aber, weil ich mit aller meiner angewandten Müh und Arbeit keinen Wind hatt bannen können, an der Kehle gepackt und auf Befehl des Stadthauptmanns von zwei andern Aufwärtern vor die Tür gestoßen.


ERZÄHLERIN

Unterdess brachte man Rauchtäfelchen und Kerzen, und die Gäste suchten ihre Balsambüchslein heraus, auch sogar ihren Schnupftobak hervor, aber die feinsten Aromata wollten schier nichts bewirken. Alsbald nötigte man sich aber wieder zum Trunk zusammen, manche mit zugehaltenen Nasen, andere mit Gewedel der Händ. 


SIMPLICIUS

Mich hatten sie unterdess von der Tür weg und auf die Wies draußen verschlagen und allein gelassen mit den Beulen am Kopf. Und da sah ich dann, wie sie alle nach einer Weil, die Säufer und die Spielleut samt den Frauenzimmern, aus der Tür wankten und in ein ander Haus hinübertappten, wo der Saal wohl zu einer neuen Festlichkeit erkoren war. Da ich näher herangeh, seh ich durch die Fenster Männer und Weiber im Saal so schnell untereinander herumhaspeln, dass es wie ein himmlisches Drohen über mich kommen wollt. Die hatten ein solch Getrippel und Gejohl, dass ich glaubte, sie wärn alle rasend geworden und wollten mit diesem Rasen und Wüten und Toben – das, wie ich später erfuhr, ein Tanz geheißen – wollten dem Saal den Boden mit Gewalt eintreten. Mich überfiel eine solche Angst und Todessorg, dass ich nicht mehr wusste, wo ich mich hinwenden könnt, und als die Musikanten noch dazu sich gewaltig hören lassen, auch die Kerls den Damen zulaufen und jeder eine bei der Hand tappt und sich an den Leib reißt – da wurd mir, als müssten wir allesamt in den Erdboden sinken. Ich vermeint nicht anders, als das Bauwerk müsst ohnplötzlich einkrachen. Derowegen warf ich mich vom Fenster weg, ins Haus hinein, die Treppen hoch und hinein in den Saal, erwischte in der allerhöchsten Angst eine Dame, mit welcher der Stadthauptmann eben einen Dreher vollführt, unversehens beim Arm, und halt mich an ihr fest wie angeschmiedet. Da sie aber zuckt, und nicht weiß, was für närrische Grillen in meinem Kopf stecken, fang ich aus Verzweiflung an zu schreien, als wenn man mich hätt ermorden wollen. Das aber war nicht genug, sondern es entwischte mir auch ohngefähr etwas in die Hosen. 


ERZÄHLERIN

Die Musikanten wurden jähling still, Mann und Weib hielten inne, und die Dame, der sich der Simplicius an den Arm gehängt, sank in eine Ohnmacht. Darauf befahl der Stadthauptmann, sich die Nas zuhaltend und ganz außer sich vor Beschämung, den Simplicius zum Gänsestall zu karbeitschen und da festzusperrn. 


SIMPLICIUS

Drei ganze Stund musst ich im Gänsekerker sitzen bleiben, ehe einer herzuschlich, und an dem Riegel anfing zu rappeln. Der Kerl an der Tür macht dann auf, wischt so geschwind herein ins Kerkerdunkel als gern ich heraußen gewesen wär, und schleppt noch dazu ein Weibsbild an der Hand. 


ERZÄHLERIN

Gleich darauf erhob sich zwischen den beiden Hereingewischten ein Gefispel, daraus der Simplicius zwar nichts anders verstund, als dass sich das eine Teil über den schlechten Geruch des Gänsekerkers beklagt …


SIMPLICIUS

… und hingegen der ander Teil das erste Teil hinwiederum tröstet: «Gewisslich, schöne Dame», fispelt er, «mir ist von Herzen leid, dass uns, die Früchte der Lieb zu genießen, vom missgünstigen Glück kein besserer Ort gegönnet wird.» 


ERZÄHLERIN

Hierauf hört der Simplicius Geschnalz und vermerkt seltsame Posituren. 


SIMPLICIUS

Wie aber der Gänsekerker zu krachen anfing, zumalen das Weibsbild sich anstellte, als ob ihr gar Unglück bei der Sach geschehe, da dacht ich: Das sind zwei von den wütenden Leut, die den Saalboden halfen eintreten und sich jetzt herbegeben haben, hier gleicherweis zu wüten und zu treten und den armen Simplicius ums Leben zu bringen. Sobald diese Gedanken mich einnahmen, sobald nahm ich hingegen die Tür ein, dem Tod zu entfliehen, dadurch ich mit Mordio und Geschrei hinauswischte. Höllenlaut verfolgt vom Getön der Dame, die gerad, so vermeint ich herauszuhörn, vom Unglücksjammern zum Entzückensgeschrei den Übergang nahm.

 

ERZÄHLERIN

Ob er nun zwar aus dem Gänsestall glücklich entronnen, so wurd der Simplicius später vom Stadthauptmann, seiner Einfalt und Tölpligkeit wegen, in den Stand eines Hausnarren gesetzt. Ein Kleid von Kalbfellen sollt er hinfort tragen und oben eine Kappe über den Kopf gestreift und mit einem Paar großer Eselsohren versehn. 


ERZÄHLERIN

Sein Bestreben legte der Simplicius nun aufs gute Leben. Die Leibskräfte nahmen handgreiflich zu, man sahs ihm bald an, dass er sich nicht mehr im Wald mit Wasser und Wurzeln mortifizierte, sondern dass ihm bei üppigem Essen der Rheinische Wein und das Hanauische Doppelbier wohl auf den Leib schlugen. 


SIMPLICIUS

Aber das neidische Glück wollt mir das Spiel nicht lang gönnen, noch mich das gute Leben genießen lassen.


ERZÄHLERIN

Einen Wintermorgen, da der Simplicius, drei Kalbfell übergeworfen, sich am Teich vor der Festung zum Vergnügen aufs Eis begeben, so er das Eisrutschen als einen Spaß für sich entdeckt, kam ihm plötzlich – keine Zeit blieb, zurück über die Fallbrück zu rennen – ein Trupp Kroaten nahe heran, die sprangen von ihren Pferden, packten ihn und schleiften ihn mit sich fort. 


SIMPLICIUS

Zwar stunden die Kroaten erst im Zweifel, ob sie mich mitnehmen sollten. Die Kalbfell, die hatten sie gewollt! Weil aber die Hanauer Bauern, denen sie Pferde und Leut entrissen, hinter ihnen waren, und auch schon mit Geschrei und Waffengelärm ein Scharmützel herandrohte, wurd ich von einem der Kroatenkerls kurzerhand aufs Pferd gehoben, und selbigen Augenblicks lernte ich, dass der Mensch in einem einzig unglücklichen Stündlein alle Wohlfahrt verlieren und von allem Glück sich entfernen kann. 


ERZÄHLERIN

Im Kroatenlager wurde der Simplicius mit zwei Tritt ins Unterkreuz einem Obristen Corpes zugeschlagen. Und hier kam dem Simplicius alles widerwärtig vor. Die hanauischen Schleckerbisslein hatten sich in schwarzgrobes Brot und dörriges Rindfleisch verändert … 


SIMPLICIUS

… wenns wohl abging, in ein Stück gestohlnen Speck …


ERZÄHLERIN

… Wein und Bier waren zu Wasser geworden, und anstatt des Betts wurde bei den Pferden geschlafen. 


SIMPLICIUS

Zum Spaß der Kerls hatt ich mit andern Burschen untern Tisch zu kriechen, wie ein Hund zu heulen und mich von den Kroatenstiefeln piesacken zu lassen, woran die Kerls ihren höllischen Spaß hatten. 


ERZÄHLERIN

Fürs hanauische Spazierengehen musst stattdessen der Simplicius mit auf Fourage reiten, was bedeutet: Bei Lebensgefahr nachts von den Bauern Futter für die Pferde wegstehlen und ins Quartier schaffen.  


SIMPLICIUS

Dies durchgehetzte Leben schmeckte mir ganz und gar nicht. Mein größtes Kreuz war, dass ich mit den kroatischen Bestien nicht reden konnt und mich von jedem in ihrer fremden Sprach hin und her stoßen, plagen, schlagen und jagen lassen musst. Die größte Kurzweil, die dieser Corpes, der sich jetzt meinen Herrn schimpfte, mit mir hatte, war, dass ich ihm auf Deutsch vorsingen sollt. Und wenn ichs mit schöner Stimm leidlich ins Werk gesetzt, kriegt ich alsdann solch dichte Ohrfeigen, dass mir das Blut ins Gesicht lief. 


ERZÄHLERIN

So besann sich der Simplicius, heimlich in der Nacht weg von den kroatischen Piesackereien in den Wald zu flüchten. Das Kalbfell schützte ihn nur notdürftig vor der nächtlichen Kälte. In der Dunkelheit stieß er gegen Felsbrocken und Astwerk, irrte die Nacht durch in der Finsternis herum wie ein blind geschlagener Ziegenbock, schlief irgendwo ein – und erwacht am Morgen drauf mitten in einem freien Feld.


SIMPLICIUS

Als ich aufschau, stehen da etliche Kerls vor mir, die auf Fourage aus waren. Die schleiften mich mit sich in ein Lager bis hin vor Magdeburg zu den Kaiserlichen, allda ich zu einem Oberst geschickt ward, der mich aushorchte: Wo ich herkäme, was für einem Herrn ich zugehörig sei? 


ERZÄHLERIN

Indessen sammelte sich Haufen Volks um den Simplicius, darunter war ein Mann, der zeigte mit dem Finger auf ihn und rief: «Hoho, den kenn ich an seinem Kleid, das ist des Stadthauptmanns Kalb zu Hanau, der wohl mit Singen und Narretei sich in Hanau sehr beliebt gemacht. 


SIMPLICIUS

Da war ohnplötzlich Gefahr für mich, denn: Aus Hanau sollt ich sein, einer aus dem Lager der Schweden, ein Feind! 


ERZÄHLERIN

Der Oberst stört sich nicht dran, denn er hielt sich allem Schwedenpack, wie ers sagte, überlegen und diesem Narren allemal.


SIMPLICIUS

Gleich sollt ich mich hörn lassen im Singen. Meine Meinung aber war, man sollt mir zuvor etwas zu essen geben, weil aus einem leeren Bauch keine vollen Tön kommen möchten. 


ERZÄHLERIN

Da es Mittagszeit war und der Oberst selbst sich ein kräftiges Mahl herbeiwünschte, wurd Brot und Schinken befohlen, die Teller voll für den Oberst, ein paar Happen für den Simplicius, einen Trunk Zerbster Bier gabs für ihn obenauf, also dass der Sänger und Narr Simplicius dann gut gesättigt mit einem Lied seiner Meuder einen Beweis gab, was er in der Musik konnte. 



LIED – FÜNF

Hab nicht der andern Leut Geplärr

Um Geld und Gut und Goldgescherr,

Ich bin der Narr, bin nicht der Herr,

Schert mich den Käs das Leutsgeplärr.

Hui, ich will euch närrisch gucken,

Anders gucken kann ich nicht,

Hui, ich will beim Bierwegschlucken

Gradaus euch die Köpfe rucken,

Denn ich seh, und ihr seht nicht.


Ich such nicht eitel Geld und Gut,

Ich tu, wies Kalb beim Grasen tut,

Ich hab den Dumpf im Kälberblut,

Seh, wie es fällt und alles ruht.

Hui, ich will euch närrisch gucken,

Anders guckt ihr alle nicht,

Geht schon bald auf hölzern Krucken,

Drauf gehängt, euch Stuck um Stucken

Weg das lustig Leben bricht.

Hui!



ERZÄHLERIN

Zum Abend fragte der Oberst den Simplicius, wo er denn weiters hin wolle? 


SIMPLICIUS

Und als ich antworte, dass es mir gleich gelte, wurden wir des Handels eins, dass ich blieb und zu meinem Leid das wurde, was ich schon war, nämlich: ein Narr im Kalbfell. Denn um einen Soldatenrock, so erklärt es der Oberst, sei im Kriegsbeutel kein Geld.


ERZÄHLERIN

Den Morgen darauf wird dem Simplicius befohlen, mit andern auf Fourage zu reiten. Er kommt mit seinem Trupp in ein Dorf, wo alle sofort hin und hergehetzt in die Häuser gehn, zu forschen, was etwa mitzunehmen wär – der Simplicius stiehlt sich aber unbemerkt beiseit. Und schaut, ob er nicht irgendwo ein ehrlich Bauernhemd samt Hose finden möcht, um die er sein Narrenfell vertauschen könnte.


SIMPLICIUS

Die Bauern waren jetzt auf den Feldern, denk ich, also zwäng ich mich in ein Haus, dem ein Fenster offen steht, find dann aber nicht gleich, was ich mir vorgestellt, hör ein Geräusch – kommt da einer von den Bauern zurück? – also nehm ich in der Eil aus einer Truhe mit einem Weiberkleid vorlieb, zieh es an, find noch ein Tuch und bind es mir um den Kopf.


ERZÄHLERIN

Weil er sich im Haus, in das er eingedrungen, jetzt nicht mehr allein glaubt, schlüpft der Simplicius eilig wieder durchs Fenster nach draußen und wirft sein Kalbfell hinter den Mist. 


SIMPLICIUS

In meinem Aufzug geh ich nun langsam auf die Gass und will mich davondrücken. Und komm gegen einen Schwatz Offiziersweiber hin, die ich da herumstehen seh, und mach in dem engen Kleid, dass es natürlich scheine, ganz so enge Schrittlein, als etwa eine Bachstelz tut, da sie gegen den Wind tippelt. Ich bin auch glücklich an ihnen vorbeigekommen …


ERZÄHLERIN

… da entdecken den Simplicius etliche von den Fouragierern und wollen das Frauenzimmer, das ihnen da vermeintlich an der Nas vorbeitippelt, aus dem Tritt bringen. 


SIMPLICIUS

«Schöns Mägdlein», rufen sie mir zu, «sollst dich nicht umdrehn, denn es wollen schön Kerls dir auf den Hintern gucken!» 


ERZÄHLERIN

Also läuft er nur desto schneller, aber sie kommen ihm hinterher – und der Simplicius dreht wie ein Has auf der Gass um und zieht wieder auf den Weiberschwatz hin …


SIMPLICIUS

… ich fall vor demselben auf die Knie nieder und bitte um aller Mägde Ehr und Tugend willen, sie wollten meine Jungfernschaft vor diesen Lustbuben schützen! Eine Rittmeisterin – o, wie ich dankbar bin und zu ihr hochblicke – verwies die Fouragierer laut drohend mit dem Namen ihres Ehemanns, und möcht mich dann, wie sie sagt, auf der Stell als ihre Magd annehmen …


ERZÄHLERIN

… und der Simplicius willigt auf der Stell ein … 


SIMPLICIUS

… und die Rittmeisterin nimmt mich in ihre Häuslichkeit … 


ERZÄHLERIN

… und sie vernarrte sich dermaß in das Bild der Jungfer, die sie da eingefangen …


SIMPLICIUS

… in den glatten Spiegel meiner Augen, wie sies mir hauchte, in den geraden Leib wie ein Reh, wie sies mir schnalzte …


ERZÄHLERIN

… dass sie dem Reh nach längerer Umschweif nur allzu deutsch zu verstehen gab, wo sie der Schuh am meisten drücke.


SIMPLICIUS

Ich aber hatt für jedwede Verliebtheit noch gar keine Übung, tat also, wie wenn ichs nicht verstund und wollte der Rittmeisterin kein andere Hoffnung lassen als solche, dass sie bei mir auf eine tugendhafte Jungfrau urteilen müsse. 


ERZÄHLERIN

«Geht die Zeit, wechseln die Flöh!» ließ die Rittmeisterin sich dazu vernehmen und schickte die neue Magd mit Wein und Speckbrot zu ihrem Ehemann, der sich um diese Zeit mit seinem Knecht auf dem Schießplatz übte. 


SIMPLICIUS

Der Rittmeister, als ich mich ihm bekannt mach, guckt mich an und verlangt, dass ich bei weiterm Besuch in bessern Kleidern vor ihn hin zu treten hätt. Des garstigen Bauernkittels, Gott verdamm sie, meine Frau, müss er sich doch schämen! Und wenn man dir die Schönheit mit dem Eisen aufbügelt! – donnert er mich an. Ich überbrings meiner neuen Herrin, und die tat mehr, als ihr befohlen und will mich herausputzen wie eine französische Pupp. Will mir ein Kleid überwerfen mit hell gestreiften Luftärmeln, aber ich rette mich hinter einen Spiegel und sag, dass ichs heimlich erst selbst anschauen will. Und dann trag ich später das Kleid, und da schürt es das Feuer bei allen Dreien: bei ihr, bei ihm, bei dem Knecht. Ja, es wurde aufs End bei ihnen allen Dreien so gewaltig, dass Herr und Knecht eilfertigst von mir begehrten, was ich ihnen nicht leisten konnt, und ichs der Frau mit einer keuschen Manier ebenso verweigern musst. 


ERZÄHLERIN

Weil aber der Rittmeister sich in seinen Kopf gesetzt, dass er als ein Mann des höheren Stands ein Recht habe auf die Magd, welche nämlich von seinem Geld herausgeputzt gehe …


SIMPLICIUS

… suchte er eine Gelegenheit, bei der er mit Gewalt von mir nehmen wollte, was ich freiwillig nicht hergeben konnt.


ERZÄHLERIN

Solches merkte sein Weib. 


SIMPLICIUS

Und weil sie selbst mich doch endlich zu überwinden hoffte, verlegte sie ihrem Eheherrn alle Päss und lief ihm alle Ränke ab …


ERZÄHLERIN

… also dass er glaubte, er müss toll und töricht drüber werden. 


SIMPLICIUS

Und einmal in der Nacht, da beide sich schlafen gelegt, da stund dann auch noch ohnvermutet der Knecht an meinem Quartierwagen und ruft mich heraus …


ERZÄHLERIN 

… und der klagte dem Simplicius seine Liebe unter heißen Tränen und bat um Gnad und Erhörung. 


SIMPLICIUS

Ich aber zeigte mich härter als ein Stein und gab ihm zu verstehn, dass ich meine Keuschheit für einen doch einstmals zu erlangenden Ehstand möcht aufsparen. 


ERZÄHLERIN 

Weil der Knecht dem Simplicius nun aber die Ehe ohn Bedenken wohl tausendmal anbot und immer nichts anders dagegen hörte als: es müsst aufgeschoben sein … 


SIMPLICIUS

… zieht er ohnversehens seinen Degen aus, setzt sich die Spitz unters Kinn und tut nicht anders, als wenn er sich nun erstech. 


ERZÄHLERIN 

Der Simplicius spricht ihm zu und gibt ihm Vertröstung, einen endlichen Bescheid bald zu erteilen. Rechnen müss er eben noch, sagt er, wieviel an Dukaten er für die Eh‘ schon gespart und ob es denn genug sei für eine üppige Hochzeit.


SIMPLICIUS

Davon wird der tolle Mensch ruhig und verspricht, dass er sich darüber schlafen legen will. 


ERZÄHLERIN

Doch schon am Abend kommt er wieder, sich das Jawort zu holen und fängt an, am Quartierwagen zu rappeln, als der Simplicius eben in Schlaf gesunken. Also dass er damit erst den Rittmeister weckt. Weil der sein Zelt in der Näh hatte und in unruhigem Dämmern gelegen. 


SIMPLICIUS

Dem Rittmeister wurd jetzt ohn Zweifel grün vor den Augen …


ERZÄHLERIN

… doch kam er nicht, das nächtliche Tun zu stören, sondern stand im Zeltdunkel verborgen, zu sehn, wie der Handel ablaufen wollte. 


SIMPLICIUS

Der Knecht weckt jetzt auch mich mit seinem Ungestüm und nötigt mich, aus dem Wagen zu kommen oder ihn einzulassen. Ich aber schalt ihn aus und frage, ob er mich denn für eine Hur anseh? Meine Zusag sei auf den Ehstand gegründet. 


ERZÄHLERIN

Da verlegt sich der Knecht aufs Säuseln und antwortet, so mög sie doch hören und herauskommen, seine Liebste, denn er kenn ein Verslein, das er ihr vortragen wolle, aber dazu müss er sie lieb beschaun. 


SIMPLICIUS

«Ich hab jetzt nicht das Ohr für ein Verslein!» raunt ich hinaus. Er aber war schon in seinen Vortrag gestiegen, und so hat es sich angehört:



LIED – SECHS (1)

Du Alles mein, gebrauche deiner Zeit 

Und lass den Liebeslüsten freien Zügel, 

Wenn uns der Schnee der Jahre hat beschneit,

So schmeckt kein Kuss, der Liebe wahres Siegel, 

Im grünen Mai grünt nur der grüne Klee,

Du Alles mein.



ERZÄHLERIN

Weil es schon anfing zu tagen, und der Knecht auch gleich nach dem ersten Verslein ein solches zweites herauszubringen gedacht, stieg der Simplicius jetzt in Eil aus dem Wagen, denn da scheucht der Knecht doch das ganze Lager auf, denkt er, aber da war der Knecht doch schon wieder beim Singen. 



LIED – SECHS (2)

Du Alles mein, der schönen Augen Licht, 

Und was sich zeigt auf den geliebten Wangen, 

Ist nicht für dich, für uns nur zugericht. 

Die Äpfel, die auf deinen Brüsten prangen, 

Sind unsre Lust und süßer Anmutssee.

Du Alles mein.



ERZÄHLERIN

Und wie der Simplicius nun mit seinen helle gestreiften Luftärmeln aus dem Wagen kommt und herabsteigt, wird der Knecht davon so heftig inflammiert, von den Ärmeln oder wer weiß es, also dass er sich nicht halten kann, auch noch ein drittes Verslein anzufügen …



LIED – SECHS (3)

Du Alles mein, soll denn dein warmer Schoß 

So öd und wüst und unbebauet liegen? 

Im Paradies, da ging man nackt und bloß 

Und durfte frei die Liebesäcker pflügen. 

Wünscht nicht dein Herz, dass es so weitergeh?

Du Alles mein?



ERZÄHLERIN

Und dann wollt er sich überhaupt nicht mehr halten, der Herr Liebhaber …


SIMPLICIUS

… und kommt auf mich zu, und ich seh seinen Schnauzbart sich mir ins Gesicht drehn …


ERZÄHLERIN

… und weil der Simplicius sich nicht sonderlich wehrt, vermochte der Rittmeister, vor dessen Augen das alles geschah, ohn Frag das alles nicht zu ertragen … 


SIMPLICIUS

… sondern er springt mit bloßem Degen aus seinem Zelt, meinem Liebhaber den Fang zu geben! Der aber wischte auf dem Stiefel herum und streicht ohne längern Disput in den Morgen hinaus. 


ERZÄHLERIN

Und der Rittmeister faucht. Faucht dem Simplicius ins Gesicht. «Du Bluthur», faucht er, «ich will dich lehren …» – viel mehr konnt er vor Zorn dann nicht fauchen … 


SIMPLICIUS

… sondern schlug auf mich ein, als wenn er irrsinnig geworden und schleift mich in sein Zelt. Zur Rittmeisterin. Die sich, als sie mich sieht, in eine Ohnmacht verdreht. Im Zelt wurden mir die Händ gebunden, der Rittmeister prügelt wieder auf mich ein, ich schrei, und weil er kein Aufsehen will, schiebt er mir einen Lappen ins Maul. 


ERZÄHLERIN

Später dann gab der Rittmeister die Bluthur, wie er sie im Lager ausrief, zur Kurzweil an die Stallburschen. «Dass ihr der Hur die Backen heiß macht!» befahl er.   

SIMPLICIUS

Hinter einen Busch haben sie mich gezogen, drei oder fünf Kerls, ich sah mein Ende kommen, sie lachten, fingen an, sich die Hosen aufzureißen … 


ERZÄHLERIN

… und viel Volk drängte zum Busch hinterher …


SIMPLICIUS

 … darunter auch der Knecht, der sich aus dem Staub gemacht, der aber jetzt da stund bei den Gaffern und sich auf den Lippen herumbiss. 


ERZÄHLERIN

Der Knecht ließ nicht aus den Augen, was er für sich begehrte. Und als er jetzt sieht, wie man seiner Liebsten viehisch an den Leib will, schreit ers heraus: Dass dies Weib seine versprochene Braut sei! Vor Gott und den Menschen seine Braut! 


SIMPLICIUS

Und gleich wurde ihm Hilfe versprochen!


ERZÄHLERIN

Mitleid zeigte man für die bedrängte Braut, und man will sie befreien. 


SIMPLICIUS

Das aber kam den Stallburschen, die sich ihre Kurzweil nicht wollten abschnappen lassen, überhaupt nicht gelegen. 


ERZÄHLERIN

Sie drohten Gewalt an gegen jeden, der es wagen würde …



SIMPLICIUS

… und da fing man auch schon an, Stöß und Schläge und Tritte auszuteilen von beiden Seiten her, der Zulauf und das Lärmen wurde immer mehr, also …


ERZÄHLERIN

… dass es den Rumormeister auf den Platz rief. Welcher eben ankam, als sie dem Simplicius die Kleider vom Leib gerissen … 


SIMPLICIUS

… und alle haben es gesehen, dass ich kein Weibsbild bin!


ERZÄHLERIN

Jetzt war es still. Der Rumormeister fragte die Sach kurz durch, und indem der Simplicius hofft, er sei nun gerettet, nahm ihn der Rumormeister in Verhaft und lässt ihn in Eisen setzen. Weil es nämlich eine ungewöhnlich und verdächtige Sach sei, ließ sich der Rumormeister vernehmen, dass sich ein Mannsbild bei einer Armee in Weibskleidern sollt finden lassen, und also eine Spioniererei und Täuschung der Obrigkeit nicht von der Hand zu weisen sei. «Und es ergeht der Beschluss», lautete alsdann das Urteil, «dass man den Spion der Folter übergibt, und wenn er sein Fehl bekannt hat, ihn dem Feuer zuführe.»


SIMPLICIUS

Wie mir der Kopf stand, lässt sich denken. Ich wusst mich unschuldig und hatt auch ein starkes Vertraun zu Gott, sah mich aber jetzt in den Tod gehn.


ERZÄHLERIN

Doch eh es dazu kommt, rettet der Krieg dem Simplicius das Leben. 


SIMPLICIUS

Ein Feuersturm der schwedischen Armee …


ERZÄHLERIN

… ohn dass ein Kundschafter ihn hatte vorausmelden können …


SIMPLICIUS

… braust jäh über das Lager hinweg. 

ERZÄHLERIN

In Windseil waren alle hinter die Zelte gezogen. Den Simplicius aber hatte man in seinen Eisen auf dem Platz vergessen. Und das Gewimmel der Leiber und Feuerstöß kam jetzt über ihn wie das Weltende.


SIMPLICIUS

Eine schwedische Schwadron war herangestürmt, und in einem Augenblick flog die Luft so voll singender Kugeln, dass es sich angehört, als ob die Salve zur Kurzweil gegeben worden. 


ERZÄHLERIN 

Manche duckten sich, als ob sie sich in sich selbst hätten verbergen wollen, andere mit Courage nahmens als Spaß und ließen erhobnen Haupts die Kugeln über sich hinstreichen. 


SIMPLICIUS

Das Schießen, das Geklapper der Harnisch, das Krachen der Piken und das Geschrei der Verwundeten machten zu dem Trommeln und Pfeifen eine höllenschreckende Musik. Da sah man nichts als dicken Rauch, dass es schien, als woll der Dreck das abscheulich Bild der Verwundeten und Toten zudecken. Man hörte jämmerliches Wehklagen der Sterbenden und ein lustig Geschrei von dort, wo die Reiter noch vollen Muts stürmten. 


ERZÄHLERIN

Man sah etliche von den Pferden unter ihren Reitern tot zu Boden brechen, andere fielen um gleicher Ursach willen auf ihre Reiter und hatten also in ihrem Tod die Ehr, von denen getragen zu sein, die sie im Leben hatten tragen müssen. 


SIMPLICIUS

Köpf lagen dort, welche ihre natürlichen Herren verloren hatten, und hingegen Leiber, die ihrer Köpf ermangelten. Dort lagen abgelöste Schenkel, da sah man zerstümmelte Soldaten um Beförderung ihres Tods flehend, hingegen andere um Quartier und Verschonung ihres Lebens bittend. 


ERZÄHLERIN

Zum End trieben die schwedischen Sieger die Kaiserlichen vor sich her …


ERZÄHLERIN

… und der Simplicius wird als Kriegsbeute einem Oberstleutnant zugeschlagen.

 

SIMPLICIUS

Für den ich als Stallbursch hinfort mich krumm machen sollt. Schon auf dem Marsch ins Schwedenlager hatt ich ihm den Brustpanzer zu tragen, nämlich an meinem eignen Leib. Und obgleich derlei Harnisch vor feindlichen Stößen zu beschützen erfunden ist, war es bei mir gerad umgekehrt.


ERZÄHLERIN

Denn die Läuseschar unter dem eisernen Hemd ging sogleich desto sicherer los, den armen Simplicius zu beißen und zu quälen: Unterm Eisen hatten sie ihren freien Lauf und Tummelplatz. 


SIMPLICIUS

Und weil ich nicht aus den Kleidern heraus kam, musst ich dem Läusefeind mein Blut überlassen. Wie sie mich dann aber unter dem Harnisch gefoltert, als sei die Höll über mich gekommen, wischt ich meine Pistolen heraus, wie wenn ich hätt Kugeln wechseln wollen mit dem Läuseheer. Ich nahm aber nur den Ladestock, und wenn damit unter den Harnisch fuhr, knickte ich sie dutzendweis. Aber es wurden immer mehr. 


ERZÄHLERIN

In seiner Raserei fuhr der Simplicius so unbarmherzig fort, dass er nicht gewahr wird, wie die Kaiserlichen ohnversehens zurückkommen und seinen Leutnant samt dem Trupp attackieren und gefangen nehmen. Auch den Lausknicker Simplicius kriegten sie zu fassen, und ein Dragoner nimmt ihn samt Harnisch als Beute. 


SIMPLICIUS

Also schaffte der Krieg mir meinen sechsten Herrn.


ERZÄHLERIN

Damit, hochgeehrtes und großgütiges Publikum, geht unserer Geschichte erster Teil zu End, der aber nach einer Stärkung weiter erzählt werden soll. Nämlich zuvörderst: Wie aus dem Simplicius der räuberische Jäger von Soest geworden. 





Simplicius Simplicissimus    zweiter Teil



LIED    SIEBEN  

Hab ich, ach, die Jugendtage

Faul und übel weggeschwendet,

Maulaff haltend mich verpfändet,

Fern der Zeiten Plage.


Hat mich, ach, der Krieg gerissen

Weg vom lustig Liederpfeifen,

Backenblasen, Felderstreifen

Und so gar nichts wissen.


Hab ich bald im Wald geträumet,

War Gemüs mein Leibsgespeise,

Waren Erd und Himmel leise,

Welt war aufgeräumet.


Musst ich eitel Narr vorstellen,

Tat der Krieg sein böse Zeichen

Mir auf Leib und Leben streichen,

Ging in Kälberfellen.


Geh ich jetzt in Jägermode,

Schieß ich viele Feind zur Erden,

Will ich Held auf ewig werden,

Endets doch im Tode.



ERZÄHLERIN 

Hört, hochgeehrte Herren und großgütige Damen, wie wir sie weitererzählen: Die Geschichte von dem einfältigen Menschen, genannt Simplicius Simplicissimus, den der Krieg in die Stadt Soest verschlagen hatte.


SIMPLICIUS

Mein neuer Herr, wollte er nicht, dass ich ihn und sein ganzes Haus mit meinen Lausvölkern besetzte. Also musst er mich davon befreien. Er machte ihnen den Prozess kurz und gut, steckt meine Kleider in den Brotofen und brannte sie sauber aus. 


ERZÄHLERIN

Hingegen hatte der Simplicius gleich ein ander Kreuz auf dem Hals, denn sein neuer Herr war einer von den Menschen, die glauben, gewiss in den Himmel zu kommen, also begnügte er sich auf Erden mit dem Nötigsten und machte den Geizhals.


SIMPLICIUS

Auf trocken Pumpernickel ließ er mich herumbeißen, der Herr Dragoner, und mit Wasser, oder wenns hoch kam, mit Dünnbier, nachspülen. Wollt ich aber besser fressen, sagt er, mocht ich stehlen gehen, doch so, dass er nichts davon merke. 


ERZÄHLERIN

Als Schutzwache in ein Frauenkloster mit Namen «Paradeis» wurde bald darauf der Dragoner befohlen, weil die Nonnen dort um einen frommen und gewissenhaften Menschen gebeten hatten. Also macht er sich auf den Weg, und der Simplicius musste mit, zu Fuß, weil nur ein Pferd im Stall stand.


SIMPLICIUS

Das Paradeis fanden wir, wie ich es mir gewünscht, nämlich anstatt der Engel schöne Jungfrauen darinnen, welche uns mit Speis und fetten Bissen also traktierten …


ERZÄHLERIN

… dass der Simplicius in Kürze wieder einen glatten Balg bekam, denn da setzte es das süffigste Bier, die besten westfälischen Schinken und Knackwürst, wohlgeschmeckend und sehr delikat das Rindfleisch.


SIMPLICIUS

Da lernte ich das Brot fingerdick mit gesalzener Butter schmieren und mit Käs belegen, damit es desto besser rutschte. 


ERZÄHLERIN

Und gleich wie das Unglück den Simplicius oft bedrängt, so glaubte er jetzt, das Glück wolle es wieder wett spielen. Denn als ihn sein Herr ein paar Tage drauf vom Paradeis nach Soest zurückschickte, den restlichen Hausrat zu holen, fand der Simplicius unterwegs einen Ballen Stoff mit etlichen Ellen Scharlach zu einem Mantel, samt seidenem Futter und silbernen Knöpfen. Das alles nahm er an sich und vertauschte es dann in Soest bei einem Tuchhändler gegen ein paar Hosen und ein Hemd …


SIMPLICIUS

… aus grünem Tuch geschneidert, allwelche Farb mir besser als rot zusprach …


ERZÄHLERIN

… samt Hut und einem Paar neuer Schuh. Derart neu ausstaffiert kam der Simplicius zurück ins Paradeis. 


SIMPLICIUS

Fortan hatten wir das faulste Leben von der Welt, in welchem Kegelschieben die anstrengendste Arbeit war. Wenn ich meines Dragoners Klepper gestriegelt hatte, betrieb ich das Junkernhandwerk. Übt mich im Fechten und Schießen und im Faustkampf mit einem Musketier, der dem Kloster auch als Schutzwach geschickt worden. 


ERZÄHLERIN

Zum Kloster gehörte ein Wildrevier. Dem Jäger, der es führte, guckte der Simplicius über Herbst und Winter seine Künste ab.


SIMPLICIUS

Die Weg und Steg wurden mir bekannt, und weil sich auch der Jäger meinen Namen nicht merken konnt, rief er mich «dat Jägerken».


ERZÄHLERIN

Und aus «dat Jägerken» wurde im Gered der Leute schon bald «der Jäger». 


SIMPLICIUS

Den Dragoner aber, meinen Herrn …


ERZÄHLERIN

… als man ihn unerwartet aus dem Paradeis zurück nach Soest befahl …


SIMPLICIUS

… machte er sich, sein verloren Schlemmerleben auf Erden beseufzend, eilig ans Sterben, da er gewiss war, den folgenden Tag schon an der himmlischen Tafel zu sitzen. 


ERZÄHLERIN

Was der Dragoner hinterlassen, wurde im Lager aufgeteilt. Der Simplicius erbte nur die zerflickte Hose. In die der Geizhals aber, o Wunder!, von niemand war es bemerkt worden, eine gehörige Summe Dukaten eingenäht hatte.


SIMPLICIUS

Aus dem Geld schafft ich mir ein gut Soldatenpferd und das beste Gewehr, das ich kriegen konnt. Da musste mir alles glänzen. Ich ging fortan nur noch in grünem Wams, weil mir der Name «Jäger» sehr gefiel. Und ich ritt wie ein Edelmann daher und dünkte mich fürwahr keine Sau mehr zu sein. 


ERZÄHLERIN

Von seinem Hauptmann wurde der Simplicius nun oft zum Plündern auf Fourage geschickt. Er war ein trefflicher Reiter, war schnell auf den Füßen, und wenn ihm streunende Soldaten in den Weg kamen, warf er sich ihnen todeskühn entgegen. 

 

ERZÄHLERIN

Ehre und Ruhm zu erjagen – fortan schien es dem Simplicius von allem Glück das höchste zu sein. Manche Nacht, wenn er wach lag, übte er sich in seinen Gedanken im Kriegshandwerk und ersann Schliche und Listen, die ihm sein Ansehen als der gefürchtete Jäger von Soest mehren sollten. 


SIMPLICIUS

Da hatt ich wunderliche Einfäll: So erfand ich eine Art Schuh, die man verkehrt herum anziehen konnte, also dass die Absätz unter den Zehen standen. Davon ließ ich etliche für alle Füß passend machen, und wenn ich die unter meine Leut austeilte, und wir gingen damit auf Beute, dann wars ohnmöglich, uns auszuspüren – denn wir liefen bald in den verkehrten, bald in unsern richtigen Schuhn, und wenn uns einer auf der Spur war und kommt zu einem Ort, da wir die Schuh gewechselt, sieht es nicht anders, als wenn zwei Trupps dort zusammenkommen und sich gegeneinander in Luft aufgelöst. 


ERZÄHLERIN

Und gleich wie sie es zu Fuß machten, so hielten sies auch, wenn sie mit den Pferden loszogen. Dann hieß der Simplicius hier und da seine Leut an einer Wegkreuzung absitzen und den Pferden die Eisen verkehrt herum aufschlagen. 


SIMPLICIUS

Dukaten und Schmuckstücke, die ich auf meinen Raubzügen erbeutet, versteckt ich für späteren Gebrauch hier und da in der Soester Börde, aber ich hatt auch immer genug davon in den Taschen.

 

ERZÄHLERIN

Ins Wirtshaus gingen sie an einem Morgen, der Simplicius mit ein paar Kumpanen, nachdem das Regiment, dem sie angehörten, nahe der Stadt Rheine sein Lager aufgeschlagen. 


SIMPLICIUS

Wir bestellten Musikanten, die uns den Wein und das Bier lustig hinunterfiedeln sollten …


ERZÄHLERIN. 

… da gings dann auch gleich hoch her, und was für Geld in der Schänke zu haben war, hieß man zum Tisch bringen.


SIMPLICIUS

Sogar Kerls aus fremden Regimentern hielt ich frei und führt mich nicht anders auf, als wie ein adliger Junker, der einen Haufen Reichstaler zu verludern hat. 


ERZÄHLERIN

Darum auch wurde dem Simplicius und seinen Kerls besser aufgewartet als einer Gesellschaft Reiter, die ein paar Tisch nebenan zehrten und es nicht so stürmisch angehen ließen. 


SIMPLICIUS

Die ärgerten sich drüber und fingen an, mit uns zu kippeln. «Woher kommts», riefen sie untereinander, «dass der Mauerscheißer da drüben das Geld so springen lässt?» – Das war auf mich gezielt.


ERZÄHLERIN

Drauf ein anderer: «Guck doch hin: Dem hat die Mutter den Milchpfennig geschickt, davon er einen Haufen Säugling jetzt nährt!»


SIMPLICIUS

Wieder auf mich gezielt. Also dass ich mir eine leere Bierkanne griff, sie mit Wein zu füllen befahl – und ließ sie auf die Gesundheit aller rechtschaffenen Musketierer und Weinverdrücker an unserm Tisch herumgehen. Dazu machten meine Kerls mit jedem Trinkspruch solchen Lärm, dass im Wirtshaus kaum ein Wort mehr verstanden wurd.


ERZÄHLERIN

Am Nebentisch der Ärger macht sich deshalb umso lauter Luft. Einer ruft: «Was Teufels führen doch die Mauerscheißer für ein Großmaulsleben!» 


SIMPLICIUS

Einer von uns hält dagegen: «Was gehts die neidischen Wasserköpf an!»


ERZÄHLERIN

Drauf ein Kerl gegenüber: «Man weiß es ja, dass die Mauerscheißer in der Feldschlacht jämmerlich aus dem Stiefeldreck zu unsereins hochschaun!»


SIMPLICIUS

Meine Antwort drauf: «Wir, du Pisspottpantscher, zwingen ganze Städt in die Knie, wenn dus nicht weißt! Na! Und da bläst sich so eine Protzbacke, wie du, die Visage auf und beleidigt einen wie mich! 


ERZÄHLERIN

Drauf der Kerl: «Wer, du Schleimbeißer, hat denn hier die Hosen voll und traut sich jetzt nicht auf Pistolen gegen mich!»


SIMPLICIUS

Ich fuhr vom Tisch auf, warf ihm einen Handschuh hin und rief: «Topp!» Und brüllt es ihm ins Gesicht: «Kann ich dir den Handschuh nicht wieder abgewinnen – zu Fuß und nur mit meiner Musket bewaffnet, wenn du mit Pistolen in voller Rüstung auf deinem Gaul daherkommst! – darfst du mich auf immer einen elenden Maulfrosch nennen und es herumerzählen bis an das End aller Tage.»


ERZÄHLERIN

Ein Duell! Von der Regimentsführung verboten! Aber gerade drum war es ganz nach dem Geschmack der Schänke! Auf der Stell wurde der Wirt bezahlt, und der Simplicius und sein Gegner samt all ihrer Leut machten sich zu den Pferden.


SIMPLICIUS

Da wir auch bald zu dem Ort kamen, wo der Rappeltanz angehen sollt, hatt ich unterwegs schon meine Muskete mit einer Kugel geladen. Hatt frisches Zündkraut aufgelegt und dann sorgsam den Deckel über der Zündpfanne mit Talg zugeschmiert, wie Musketierer zu tun pflegen, wenn sie Zündloch und Pulver vor dem Regen schützen wollen.


ERZÄHLERIN

Eh die beiden im Duell aufeinander losgingen, wurd abgesprochen, dass in freiem Feld der Angriff zu geschehen habe, also der eine von Osten, der andere von Westen her sich in ein abgestecktes Feld bringen sollt – und alsdann möge ein jeder sein Bestes gegen den andern tun, wie es Regel und Ehr von einem Soldaten fordern. 


SIMPLICIUS

Auch durft mir keiner von meinen Leuten im Kampf zu Hilf kommen, noch sollt nach meinen Tod einer mich rächen dürfen. Und bei meinem Gegner galt es so auch. Er und ich, wir schlugen die Händ ein, und es vergab jeder dem andern schon vor dem Tode den Tod, ganz nach der Regel. 


ERZÄHLERIN

Als der Simplicius dann mit einer brennenden Lunte langsam ins Feld trat, tat er so, als würd er verbrauchtes Zündkraut von seiner Muskete abwischen.

 

SIMPLICIUS

In Wirklichkeit aber bracht ich heimlich Pulver auf den Deckel meiner Zündpfanne, blies die Lunte an – und da wir uns nicht aus den Augen lassen, mein Gegner und ich, leg ich auf ihn an und brenn das Pulver vom Deckel der Zündpfann herunter. Keine Kugel geht aus dem Lauf. Mein Gegner kommt nicht zu Schaden.


ERZÄHLERIN

Der aber glaubt auch schon …


SIMPLICIUS

… das Zündloch sei verstopft und die Muskete hätt mir versagt …


ERZÄHLERIN

… also galoppiert er und brüllt: «Mauerscheißer, jetzt bin ich dran!», mit seiner Pistol fuchtelnd, geradewegs auf den Simplicius zu …


SIMPLICIUS

… doch eh der Kerl es versieht, hab ich den Deckel über meiner Zündpfann hochgeschlagen, wieder auf ihn angelegt, lass die Lunte das Pulver aufbrennen, und jetzt bescher ich dem Kerl Knall und Fall die Kugel als ein böses Willkommen, dass er hinstürzt und sein Leben lässt. 


ERZÄHLERIN

Der Getötete wird aus den Steigbügeln gelöst, seine Kameraden kommen auf den Simplicius zu, geben ihm den Handschuh zurück und loben ihn für seinen Sieg. 


SIMPLICIUS

Da ließ er sich feiern von seinen Kameraden, der gewitzte Herr Simplicius, und im Lager die Weiberleut – so malt er es sich aus –  für die müss er fortan als ein guter Fang gelten. 


ERZÄHLERIN

Wenn sie sich denn nun auch nach ihm umschauen wollten! 


SIMPLICIUS

Grad so, wie er ihnen schon länger auf die Röck guckte!


ERZÄHLERIN

Um Martini, wenn die Schlemmerzeit anfängt und währet bis in die Fastnacht, da wurde der Simplicius, den man jetzt wie einen geschmückten Hahn manchmal in der einen oder anderen Stadt unter den Häusern herumgecken sah, von dortigen Bürgern und höherem Kriegsstand zum Gänseessen eingeladen. Sein Ruhm und sein Reichtum hatten sich allenthalben herumgesprochen …

 

SIMPLICIUS

… und so geschahs denn, dass ich nun endlich auf heimliche Näh mit den Frauenzimmern in Bekanntschaft kam. Meine Lieder hatt ich auf mancher Gesellschaft schon hören lassen, und mein Gesang hielt auch bald schon die allersperrigste Jungfer gefangen. Und sah mich jetzt eine mit schönen Augen an, so wusst ich meinen Buhlenversen, die ich in nachtlanger Arbeit selber machte, so anmutige Blick und Gebärden anzumischen, dass sich die Hübsche darüber blitzeseilig in mich verguckte. 


ERZÄHLERIN

So kehrte der Simplicius dem Kriegshandwerk den Rücken. Fortan wars ihm nun ganz und gar um die Weiberwelt zu tun, und ob er gleich bei einer oder der andern nicht fand, was er suchte …


SIMPLICIUS

… denn da gabs auch noch etliche, die sich mir weigerten …


ERZÄHLERIN

… so fand er endlich doch den Weg zu allen. 


SIMPLICIUS

Und zeigt mir eine ihre Gunst, sagt ich ihr von den andern, ich sei dort wohl zum Gänsessen eingeladen oder zu Geplauder und Konfekt – zum holdseligen Anschmeicheln aber nur zu ihr gekommen. Also dass ich zu gleicher Zeit auch einmal sechse hatte, die mich liebten und ich sie hinwiederum auch …


ERZÄHLERIN

… doch hatte keine sein Herz oder gar den Simplicius ganz. An der einen gefielen ihm die schwarzen Augen, an der andern die goldgelben Haar …


SIMPLICIUS

… an der dritten die samtene Haut, an der vierten der schmelzende Blick …


ERZÄHLERIN

… an der fünften das girrende Lachen …


SIMPLICIUS

… an der sechsten die wogende Brust. Und wo meine Liebe auch hinfiel, da bekam ich leicht und ohn Mühe, was ich begehrt. Aber eines Sonntagmorgens dann, zur Kirch hin war ich ihr nachgegangen, hatt mich hinter ihr auf die Bank gekniet, stiefelt ihr ohn Aufsehen heimlich die Kirch wieder hinaus, eine Wunderschöne! Tochter eines Offiziers, wie ich Tags zuvor schon erfragt! Und ich folg ihr zu ihrem Haus und seh sie jetzt wie in all meinen Wünschen nah und leibhaftig vor ihrer Tür so ganz ungefähr in den Himmel hoch schauen! Ich lass ein Räuspern hören, werf ihr Blicke hin, hust auch ganz plötzlich und grob – aber sie sieht nicht zu mir her! Ich bring einen langen Seufzer an, wie ichs meisterlich konnte, auch wenn er vielleicht aus falschem Herzen kam, der Seufzer, so kommt er jetzt doch holdselig und wahr – und sie überhörts! Lässt mich kaltsinnig stehn und wirft mir vor der Nasen die Haustür zu. Ein Frauenzimmer, das sich mir nicht öffnen will, das ich nicht verführ, das mir das Blut in den Kopf schießen lässt, eine Wunderschöne, die mich nicht will – auf dass mein Begehren nach ihr um so heftiger wird!


ERZÄHLERIN

Auf dass ihm das Frauenzimmer in nächtlichem Traum wieder und wieder begegnete, und es war immer und immer der selbige Traum.



LIED    ACHT  

O Traum, der mich entzücket!

Was hab ich nicht erblicket!

Ich warf die müden Glieder

In einem Tale nieder,

Wo einen Teich, der silbern floss,

Ein schattiges Gebüsch umschloss.


Da sah ich durch die Sträuche

Mein Mädchen bei dem Teiche.

Das hatte sich zum Baden

Der Kleider meist entladen,

Bis auf ein untreu weiß Gewand,

Das keinem Lüftchen widerstand.


Der freie Busen lachte,

Den Jugend reizend machte.

Mein Blick blieb sehnend stehen

Bei diesen regen Höhen,

Wo Zephir unter Lilien blies

Und sich die Wollust greifen ließ.


Sie fing nun an, o Freuden!

Sich vollends auszukleiden;

Doch, ach! indems geschiehet,

Erwach ich und sie fliehet.

O schlief ich doch von neuem ein!

Nun wird sie wohl im Wasser sein.

 


ERZÄHLERIN

Da lässt den Abend drauf der Vater der Schönen den Simplicius in sein Haus bitten. 


SIMPLICIUS

Er  nimmt mir Hut und Degen ab, führt mich in ein festlich geschmücktes Zimmer, und ich seh von der Seit ein feines Lächeln um seine Bartspitzen gefädelt.


ERZÄHLERIN

Dem Simplicius kommt es vor, als wolle man was Wunder Großes mit ihm anstellen.


ERZÄHLERIN

Nur eine Kleinigkeit aber wars, die sich der Offizier erbat. Da es der Abend vor dem Dreikönigstag war und heute nach altem Brauch beim Bohnenkönigsspiel der Hofstaat mit Los gezogen und ausgerufen werden sollte, ein Spiel, wie es der Herr Jäger wohl kenne, erkundigt sich der Offizier …


SIMPLICIUS

… «oh, ja», erwidert ich, «der Bohnenkönig!» und wusst davon ganz und gar nichts. Also hatt ich an diesem Abend darüber zu wachen, dass ohn Täuschung die Lose vergeben wurden. 


ERZÄHLERIN

Der Hausherr hatte die Namen aller Gäste auf kleine Zettel geschrieben, die waren zu Losen gefaltet in einen Hut gekommen, und der Simplicius las nun, nachdem sich die Gesellschaft bei Kuchen und Kerzenschein in dem Zimmer eingefunden, von einer Liste sämtliche Ämter ab, die bei Hofe des Bohnenkönigs zu vergeben waren – und die Tochter des Hauses …


SIMPLICIUS

… meine Schöne! Ich steh neben ihr! Sie riecht nach Mandelkuchen! Ein feines Seufzen hör ich von ihr! Sie steht da wie eine mandelkuchenkauende Göttin. Und die Mutter schaut zu ihr hin. Und schaut auf mich. Und der Vater klatscht in die Händ, die Angebetete zieht nach meinem Aufrufen eins nach dem andern die Lose aus dem Hut …


ERZÄHLERIN

… und schließlich setzt man sich zu dem Spiel: Bohnenkönig und Königreich – am großen Tisch zusammen.


SIMPLICIUS

Die Mutter, die sich an meine Seit gesetzt, erkundigt sich nebenher, was an den kalten Winterabenden ich denn gewöhnlich anstelle? Ob ich denn als der Meister im Kriegshandwerk, den sie allenthalben rühmen gehört, die eine oder andre Feldschlacht am Kaminfeuer wohl ausgebrütet? Ja, und wenn ich denn einmal nichts auszubrüten hätt – mit einem Lächeln kams ihr herausgerutscht – ob ich dann wohl auch wieder einmal auf einen Besuch in ihr Haus kommen wolle?


ERZÄHLERIN

Und wie der Simplicius wollte! Immer wieder! Bis das Fräulein Tochter erobert war! 

 

SIMPLICIUS

Nach dem Erobern jedoch» – auch das sagte die Stimm in mir – «dürfe man auf weiteren Umtrieb meinerseits dann weniger hoffen» …


ERZÄHLERIN

… denn der Simplicius merkte es wohl, dass ihm die schwatzeilige Frau Mutter zur Tochter am liebsten auch gleich noch sich selbst in Verwahrung gegeben hätt.


SIMPLICIUS

Von jenem Abend an vertieft ich mich in Liebesbücher, zimmert aus dem Geschnörkel, das ich darin fand, Buhlenbrieflein an meine Schöne, schickt ihr meine Sehnsucht in rundgemalter Schrift: So, als ob ich erst in der Ewigkeit zu ihr finden könnte …


ERZÄHLERIN

… aber dann kam unverhofft Botschaft von der Mutter, die Tochter wolle das Lautenspielen erlernen! Ob der Herr Jäger denn darin eine Fertigkeit besitze …


SIMPLICIUS

… der Herr Jäger besaß eine tolle Fertigkeit auf der Sackpfeifen, also, so sagt er es zu sich selbst, schick er sich, wenn ers nur dreist angehe, mit dem Fräulein auch auf der Laute!


ERZÄHLERIN 

Doch das Fräulein Lautenschülerin sperrte sich fürs Erste gegen allzu inniges Saitengreifen 


SIMPLICIUS

… also sang ich ihr, nur eben leichthin mit den Fingern über die Lautensaiten gewischt, all meine Liebeslieder immer und immer wieder mit immer wieder neu erfundnen Strophen für meine Schöne drangehängt. Dass es zuletzt dahin kam: Sie wird sich nicht mehr sperren, zeigt sie mir an, ich darf sie küssen und darf Eroberer sein und darf ihr – o mirum! – darf ihr am Abend aus dem Musikzimmer in ihre Schlafkammer folgen. Und mich hübsch zu ihr ins Bett fügen, als gehörten wir zusammen. Und dann will ich auch schon mehr …


ERZÄHLERIN

… aber da wird es ihm auch schon heftig abgeschlagen, denn all ihre Gedanken, so lässt sich die Schöne vernehmen, seien auf Ehre und spätere Heirat gerichtet …


SIMPLICIUS

… die stell ich ihr leichten Sinns auch sofort in Aussicht – warum tu ich das? – und rück jetzt auch heftig an sie heran, also dass es dahin kommt, und ich reiß an ihrem Hemd und sie lässt sichs zerreißen …


ERZÄHLERIN

… «Dass dus mir schwörst!» ruft die Schöne und rückt von ihm ab.


SIMPLICIUS

Sie macht es uns so unnötig schwer, denk ich, warum? 


ERZÄHLERIN

… und die Tür geht auf! Der Herr Offizier und Vater steht im Türrahmen, in der einen Hand eine Fackel, in der andern eine Pistole …


SIMPLICIUS

… und meine Schöne schreit auf! Und es klingt mir, als hab sie den Schrei geübt! Die Mutter hinter der Tür schreit auch! Nach dem Pfarrer! Und, ach, so schnell läuft auf einmal die Zeit und mir wird grün und gelb vor den Augen …


ERZÄHLERIN

… da hat sich unversehens auch schon der Pfarrer eingefunden! Der Simplicius wischt sich über die Augen, und er wird gefragt: Ob er denn das unglückliche Mädchen zur Hur machen wolle, oder – oder – der Offizier fuchtelt mit der Pistol – oder sie ehren und lieben wolle, bis dass der Tod sie voneinander scheide?


SIMPLICIUS

Ich dachte, was willst du tun, es heißt: Vogel friss oder stirb! 


ERZÄHLERIN

… also dass sie hierauf, beide im Bett sitzend, von dem Pfarrer als Mann und Frau zusammgegeben und besegnet wurden!

SIMPLICIUS

Amen. Aber kaum über acht Tag hatt ich mit meinem Weib im Ehstand zugebracht – und ich kann sagen: Doch, ich liebte sie mit Fleiß. 


ERZÄHLERIN

Da nahm der Simplicius auch schon Abschied seinem Hausstand. 


SIMPLICIUS

Denn auf künftiges Eheglück hin gedacht ich, meinen Reichtum an mich zu bringen, den ich hier und da versteckt oder bei Kameraden in Verwahrung gegeben. Auch war da wieder jene Stimm in mir, die mich in die Welt hinaus rief, und ich erbat es von meinem Weib, dass sie mich ziehen lass, denn, so sagt ich ihr, es sei ja gradeso auch zu aller Vorteil, wenn ich unsern Reichtum mehrte. Darin stimmen mir die neuen Verwandten auch auf der Stell zu.


ERZÄHLERIN

Im Jägerkleid, das Gewehr über der Achsel, macht sich der Simplicius wieder auf den Weg. Aufs Geratewohl. Bis ihn das Schicksal eines Morgens nach Köln vor den Schlagbaum bringt. Dort findet er 

ein Wirtshaus, und also setzt er sich auf einen Senfbraten und eine Kanne Bier in die Stube. Drinnen erzählt man sich von der größten Stadt der Welt. 


SIMPLICIUS

Paris sollte sie heißen! 


ERZÄHLERIN

Zwei Junker, auf den Weg dorthin, ließen sich überreden, gegen einen Beutel Reisegeld den Simplicius als Reisegefährten in ihrem Wagen mitzunehmen …


SIMPLICIUS

… und hinaus gings auch schon in die Welt! Und ich vergess mein ganzes Leben, wie es eben noch war. Und je näher wir herankutschierten, je tollköpfiger erzählten unterwegs die Leut von der berühmten Stadt Paris, in der man einen König leibhaftig wie einen Gott in Augenschein nehmen könnt. 


ERZÄHLERIN

Und der Simplicius hat ihn auf der Reise auch hundertmal gesehn, in seinen Gedanken, diesen König und die Sonne über ihm, und den Sternenhimmel über der Königin, und wie er seine Stadt anguckt, dieser König. 



LIED    NEUN  

Alle Schritte, alle Wege,

Um die Eck alle Gassen,

Alle Bäche, alle Stege,

Überquer jede Wies,


Jeder Wald, alle Schilder

Und im Kopf die Gedanken,

Alle hellbunten Bilder,

Alles führt nach Paris.


Er ists, der die große Stadt

Anguckt, weil sie etwas hat,

Anguckt, weil die Sonne golden drüber spuckt,

Anguckt, weil das Glück von oben näher ruckt.


In Paris die Alleen,

Alle Leut gehn in Seide,

Alle Sorgen verwehen,

Aller Krieg, alle Pein,


In Paris malt der König

Alles Glück auf Gesichter,

Und ganz unwiderstehlich

Muss die Königin sein.


Er ists, der die große Stadt

Anguckt, weil sie etwas hat

Hinguckt auf die allergrößte Stadt der Welt

Hinguckt, wenn der Sternenhimmel drüber fällt.


Alle Schritte, alle Wege,

Um die Eck alle Gassen,

Alle Bäche, alle Stege,

Überquer jede Wies,


Jeder Wald, alle Schilder

Und im Kopf die Gedanken,

Alle hellbunten Bilder,

Alles führt nach Paris.



ERZÄHLERIN

Da sie in Paris angelangt und eingekehrt waren bei einem Geschäftsfreund der beiden Junker, nahmen die den Simplicius mit in ihr Quartier. Der eine, von der Reise gebeutelt und in Kopf und Magen verstimmt, bat darum, einen Arzt zu rufen, den der Simplicius, mit Händ und Füß in der Nachbarschaft herumfragend, auch bald gefunden. 


SIMPLICIUS

Mit Kräutern wurd der Junker kuriert – und weil man in Paris, sagt uns der Doktor Canard, wie er sich vorgestellt, auch die Musik als Medizin gegen Verstimmung aller Art entdeckt – fragt er mich, ob ich dem Junker dann und wann eins singen könnt? – «Na, und ob ich das kann!» ließ ich mich aus.


ERZÄHLERIN

So wurde der Junker nicht nur mit allerlei Kraut, vielmehr auch mit dem einen und andern Liedchen in die Kur genommen. 


SIMPLICIUS

Ja, und ob ich denn, fragt mich dann eines Morgens vor der Kur der Doktor Canard, seine Söhne in Musik und Gesang unterrichten wollt? Gegen gutes Geld, fügt er hinzu, denn er wolle sichs großzügig was kosten lassen, wenn in seinem Haus die Muse sich einquartiere.


ERZÄHLERIN

Da war der Handel schnell abgemacht. Auch darum, weil der Doktor Canard gut das Deutsche sprach, also dass der Simplicius zur Bezahlung sich obendrein erbat, seinerseits im Haus des Doktors die französische Sprache zu studieren. 


SIMPLICIUS

So war unsere Reise für mich ein Sprung ins Glück geworden. Trotzdem – in meinem Kopf wollt manchmal das Grübeln und Hämmern jetzt nicht mehr aufhörn. Da spazierte ein frischgenommen Weib in meinen Gedanken herum! Und allerlei Sehnsucht verschwendet ich also hin ins heimische Soest, wo mir das Weib womöglich vor Sorge um den Gemahl vom Fleische fiel.


ERZÄHLERIN

Musiklehrer war er jetzt, der Simplicius, in der größten Stadt der Welt! 


SIMPLICIUS

Nicht nur, dass die Söhne des Doktor Canard bald guten Fortschritt machten …


ERZÄHLERIN

… auch der Lehrer selbst war manchmal aus dem Musikzimmer zu hören, wenn er mit geschmeidiger Stimme ein deutsches Lied intonierte, oder wenn er, leichthin über die Lautensaiten fingernd, eine Ballade vortrug.


SIMPLICIUS

Dann stand Monsieur Canard oft mit angehaltenem Atem hinter der Tür, händereibend und hoffend auf weit größern Wirbel der Musik in seinem Haus. 


ERZÄHLERIN

Denn: Weil er über die Maßen eitel war und er es an Pomp und Zeremonie dem königlichen Hof gleich tun wollt, würd er sich mit seinem Musiklehrer doch bald schon kunstsinniges Volk zu Gesang und Laute ins Haus laden können, ging es ihm durch den Kopf …


SIMPLICIUS

… und dieser Gedanke ließ den Doktor hinter der Tür geradezu erbeben. 


ERZÄHLERIN

Und so waren die Musikspektakel beschlossene Sache und wurden allseits in Paris bekannt gemacht. Sprachen sich blitzeilig herum, und eines Abends trieb die Neugier dann auch tatsächlich den Zeremonienmeister des Königs samt hochgestellter Höflinge in Monsieur Carnard‘s Haus. 


SIMPLICIUS

Ein üppig Mahl wurd aufgetischt, denn der Hausherr wusste, wie man sich dem Hof beliebt macht, und schon ging die Red an diesem Abend auch an mich, dass ich den Gästen zu Gefallen ein deutsches Liedlein hören lassen sollt. Ich folgte gern, weil ich eben in Laune war, befliss mich also, das beste Geschirr zu machen, und konzertierte den Anwesenden so wohltönend, dass hinterher der Zeremonienmeister in gutem Deutsch auf mich einschmeichelt: Er hab gerad den künftigen Hofvirtuos gehört. 


ERZÄHLERIN

Und es sei doch zu hoffen, ließ der Zeremonienmeister sich weiter vernehmen, dass der Herr Jäger und Sänger schon bald und ganz excellent die französische Sprach beherrsche, nämlich, er woll ihn dann beim König und der Königin vorstellen. Denn da spiele man demnächst eine Comédie, zu der er den Herrn Sänger gebrauchen könnt.


SIMPLICIUS

Ich antworte ihm, indem ich den Ton seiner Sprach geschickt nachsang: «Eine Comédie vor dem König? Excellent! Wenn man mir sagt, Monsieur Zeremonienmeister, was für ein Charakter ich hinstellen soll, welch Ausformung der Lieder gewünscht ist, so wird es genügen, wenn ich die französischen Wörter nach meinem Gehör lern, denn, der Sänger muss nicht alles darüber begreifen, was die Wörter ihm sagen – singen muss ers.»


ERZÄHLERIN

Da hatte der Zeremonienmeister dem Simplicius heftig zugenickt, und für den folgenden Abend schon arrangiert er diese Comédie. In welcher sich der unvergleichliche «Beau Alman» – so kündigte man den Simplicius an – mit einer «Présentation pathetique» der Hofgesellschaft vorstellte.

 

SIMPLICIUS

Und ein Lächeln steht mir allgegenwärtig im Gesicht bei dieser Comédie und meinem Gesang bis hinunter in den Saal, und dort belohnens mir die Madames unten mit einem hundertstimmigen Seufzen. Und ich erstick beinah unter dem Jubel aller.


ERZÄHLERIN

Die Pariser Madames fanden ihre liebste Beschäftigung nun schon bald in der speculation: Ob er denn auch zu solcher Art Liebesdingen herhalte, der Beau Alman, wenn man ihn en privé im eignen Haus hätte? 


SIMPLICIUS

Da kommt eines Morgens das Brieflein! Von einem Lakaien überbracht.

ERZÄHLERIN

Ein Brieflein, in dem man den Doktor Canard anfragte, ob er denn seinen Musiklehrer an allerhöchste Stelle für ein paar Stunden der Erbauung einmal würd ausborgen wollen?  


SIMPLICIUS

Ich mischte gerad allerlei Pulver im Laboratorium meines Doktors, was mir zu lieber Beschäftigung geworden – als der Lakai sich im Haus eingestellt. Ich mischte und reverberierte, übt mich in der Kunst des Arzneirührens, bracht, wie ichs dem Doktor abgeschaut, bis auf zu siebzig Ingredienzien in einer Medizin zusammen, die der Doktor den Theriak geheißen, und die als ein Wundermittelchen allseits im Land gerühmt wurde, hatt also auch von meinem Doktor gelernt zu perlutiern, resolviern, sublimiern, coaguliern, digeriern, calciniern, filtriern und unzählig viel alkühmistische Kniff, wie er seine Arzneien zu schütteln, zu kontaminiern und alles in allem zu komprimiern pflegte. 


ERZÄHLERIN

Der Doktor Canard sah mit dem Brieflein die Möglichkeit, dem Hof sich nützlich zu machen, darum bat er seinen Musiklehrer, der Anfrage zu folgen. 


SIMPLICIUS

Es wurde eine lange Fahrt. 


ERZÄHLERIN

Bis der Wagen gegen die Dämmerung hin vor einem Gartentor anhielt. 


SIMPLICIUS

Das Tor war angelehnt. Wir kamen hindurch und strebten einem Pavillon zu. 


ERZÄHLERIN

Sie passierten einen dunklen Gang, hielten vor einer Tür, der Lakai klopft, eine lächelnde Alte öffnet sofort und bittet den Simplicius herein.


SIMPLICIUS

In feinster deutscher Sprach tut sies, wie ich es verblüfft heraushör. Sie nimmt mich bei der Hand und führt mich in ein Zimmer, das mit schweren Tapezereien umhängt ist.


ERZÄHLERIN

Der Simplicius wird sanft in einen Sessel gedrückt, und die Alte lächelt ihn weiter unentwegt an. Dann sagt sie: «Monsieur, wenn Er etwas von den Kräften der Liebe weiß, dass diese nämlich die tapfersten, stärksten und klügsten Männer überwältigen und beherrschen können, so wird Er sich um so weniger verwundern, wenn solche Kräfte auch ein schwaches Weib niederringen. Er ist nicht seiner Musik halber, wie man Ihm eingeredet, hierher gebracht worden – aber wohl hierher berufen worden seiner unübertrefflichen Schönheit wegen von dem allervortrefflichsten Weibe in Paris.»


SIMPLICIUS

Da atme ich tief durch und schau durchs Fenster ins Abendrot hinaus.


ERZÄHLERIN

«Diese Allervortrefflichste», fuhr die Alte fort, «sie glaubt, des Todes sein zu müssen, wenn sie nicht ohn Verzögerung des Herrn Beau Alman überirdsche Gestalt zu schauen und sich daran zu erquicken das Glück haben sollte.»


SIMPLICIUS

Derlei Worte hat ich so noch nie gehört, aber dass sie mir eine besondere Ausformung der Lustbarkeit ankündigten, ahnt ich wohl heraus.


ERZÄHLERIN

«Derowegen», führte die Alte weiter an, «hat mir die Allervortrefflichste aufgetragen, dem Herrn, als meinem Landsmann, solches anzuzeigen, und ihn inständig zu bitten, dass Er diesen Abend sich bei ihr einfinde und seine Schönheit von der Allervortrefflichsten betrachten lasse.»


SIMPLICIUS

Ich nahm den Blick zögernd vom Abendrot weg und antworte, indem ich mein inneres Brennen unbemerkt zu halten weiß: «Madame, ich ahne nicht, was ich denken, viel weniger, was ich hierauf sagen soll. Ich seh mich nicht danach beschaffen, einer Dame von solch hohem Verlangen Genüge tun zu können» …


ERZÄHLERIN

… da unterbricht sie ihn: «Lass er die Umschweif, Monsieur, die Weiber sind manchmal seltsam und vorsichtig in ihren Anschlägen, dass mans nicht gleich begreift. Er muss da nicht mithalten. In seinem Innern, wie ichs bemerke, hat er sich längst eingestimmt. Dort liegt eine Kappe, die zieh Er sich über, dann wird man Ihn der Allervortrefflichsten zuführen.»


SIMPLICIUS

Und schon wird es finster um mich. Die Kappe übergezogen, den Kopf voller wirrer Gedanken, führt man mich – waren da Lakaien ins Zimmer getreten? Durch Türen hinter den Tapezereien? Man führt mich an den Armen über lange Flure, wir gehen Treppen hinauf und hinunter, einmal knirscht es unter mir wie auf einem Kiesweg – dann, eine quietschende Pforte passierend, drehen wir uns endlich eine Treppe langsam hinauf, ein Weghuschen hör ich, man hat mir die Kappe von den Augen gezogen, ich steh vor einer geöffneten Tür, ich steh und geh hinein in ein Zimmer, das ein Kerzenlicht erhellt. Vor mir hoch zugehängt seh ich ein Bett … einen Kamin seh ich … am Kamin ist eine Badewann aufgestellt … ja, und ich denk, dass man mich hier nicht bloß betrachten will. «Aber ich bin ein verheirateter Mann!», sag ich zu der Alten, die ohn ein Geräusch plötzlich neben mir steht.


ERZÄHLERIN

«Possen!» tut sies ab. «Einen Ehemann aus Deutschland verschlägt es nicht ohn ein besonders Gelüst nach Paris!» 


SIMPLICIUS

Ich will widersprechen, aber da fährt sie mir übers Maul …


ERZÄHLERIN

«Will er denn wirklich, der Herr Ehemann aus Deutschland, lieber am Durste sterben, denn aus einem französischen Brünnlein trinken?»


SIMPLICIUS

Ich will nachdenken über die Frag, da rauscht auch schon auf leisen Zehen eine Magd herein, schürt im Kamin das Feuer auf und geht daran, mir Schuh und Strümpf auszuziehn. Ein andre Magd bringt Schwämme, Badetuch und duftende Seifen, das Tuch mit Spitzen besetzt, ich guck, ich seh die Alte an, guck der Magd, wie sie mir die Hos abzieht, ein Grinsen aus dem Gesicht, ich will mich schämen und vor den Frauen nicht nackt stehn, aber es hilft nichts, ich komm in die Wanne und muss mich von klatschenden Schwämmen abreiben lassen. 


ERZÄHLERIN

Nach dem Bad wurde der Simplicius in ein zartfließend Hemd gesteckt, einen Schlafpelz in Veilchenfarb hängte man ihm darüber, seidene Strümpf schoben ihm die Mägde die Waden hoch, und eine Schlafmütze voll güldener Stickerei stülpten sie ihm über den Kopf. 


SIMPLICIUS

Also dass ich nach dem Bad auf der Bettkante saß wie ein Gockel im Lustkabinet. 


ERZÄHLERIN

Indessen ihm nun die Alte das Haar trocknet und kämmt, trägt ein weißbehaubtes Küchenfräulein Speisen auf, und nachdem der Tisch gedeckt …


SIMPLICIUS

… treten da drei stattlich aufgeschönte Madames in den Saal, welche ihre Brüst entblößt, die Augen aber mit Masken zugehängt haben.  


ERZÄHLERIN

Den Simplicius dünken die Madames alle drei ganz vortrefflich …


SIMPLICIUS

… und sollt doch eine von ihnen am allervortrefflichsten sein – und da frag ich mich: welche? Ich mach den Dreien stumm einen tiefen Bückling, und sie bedanken sich gegen mich mit selbiger Zeremonie.


ERZÄHLERIN

Alle drei setzten sich zugleich und mit gleicher Grazie zu Boden, dass der Simplicius sich wieder fragt, welche die vornehmste unter ihnen sein könnte …


ERZÄHLERIN

Dem Simplicius wurde mit Fingerzeichen befohlen, sich auch zu setzen, und nachdem ers mit einem weitern Bückling getan …


SIMPLICIUS

… verfrachtet sich die Alte neben mich, und ich denk mir: Na, da geb ich doch mit meiner Schönheit zu ihr den rechten Kontrast.


ERZÄHLERIN

Die Alte fragt: Welche hinter den Masken der Monsieur Beau denn als die Vortrefflichste  ansehe?


SIMPLICIUS

Ich antworte: Einen Unterschied könn ich im Augenblick nicht ausmachen, da ich die Madames nicht vollkommen im Bild hätt. Aber doch vermuten könnt ich, sie seien alle drei nicht die Allerhässlichsten.


ERZÄHLERIN

Hierüber fingen sie an zu lachen …


SIMPLICIUS

… und mir liefs angenehm über den Rücken, denn ich sah mich in Gedanken wie von Zauberhand unter die drei Madames aufgeteilt …

 

ERZÄHLERIN

… aber da beschied die Alte den Dreien, den Saal zu verlassen …


SIMPLICIUS

… und auf mein Erschrecken erklärt sie mir: Da ich eine Wahl nicht hab treffen können, und dass wiedrum sie es den drei Madames nicht gestatten woll, all auf einen Schlag sich an mir zu versuchen, was wiedrum mich gewisser Kräfte berauben könnt, die doch aufgespart sein sollen, müss ich also, wenn ichs jetzt zusammenzähl, mit dem vorlieb nehmen, was übrig sei.


ERZÄHLERIN

Die drei Masken hatten sich erhoben und liefen auch schon lachend aus dem Saal, und die Alte schloss hinter ihnen die Tür. 


SIMPLICIUS

«Und wie … und wo schlaf ich jetzt?» frag ich.


ERZÄHLERIN

«Dort im Bett!» ist die Antwort.


SIMPLICIUS

«Allein?»


ERZÄHLERIN

«Wollt Ihr, dass ich mich dazu leg?»


SIMPLICIUS

«Ja, was wüsstet Ihr denn anzufangen mit meinesgleichen?»


ERZÄHLERIN

«Vielleicht allerlei!»


SIMPLICIUS

«Und eine andre Wendung gäb es da nicht?»


ERZÄHLERIN

Die Alte schüttelt den Kopf. Aber da wurde auch schon der Vorhang über dem Bett zurückgezogen, und eine Stimme – kommt sie vom Himmel herunter?, fragt sich der Simplicius – weist die Alte aus dem Zimmer.


SIMPLICIUS

Die schnappt sich das Kerzenlicht und hat sich auch schon ohn ein Wort davongeschlichen. 


ERZÄHLERIN

«Komm er näher!» befiehlt die Stimme in französischer Sprache.


SIMPLICIUS

«Ich seh die Hand nicht vor Augen!» entgegne ich auf gleiche Weis. «Sollt ich nicht besser nach Licht rufen?»


ERZÄHLERIN

«Wenn ihm sein Kopf lieb ist, lässt Ers.»


SIMPLICIUS

Und in deutscher Sprach setzt die Stimme hinzu: …


ERZÄHLRIN

… «allez Ärr Beau Alman, gee schlaff mein Ärrz, gom, rick su mir!» 


SIMPLICIUS

An den Dämmerschein gewöhnt, seh ich jetzt eine Gestalt … und wie ich mich dem Bett näher, und will mir von der Gestalt erklären lassen, wie ihre Wort gemeint sein sollen, werd ich unversehns gepackt und gezogen und mit Küssen traktiert, dass ich fürcht, sie beißt mir in die Unterlipp ein Loch, und ich denk, aber dann komm ich nicht mehr zum Denken, der Schlafpelz wird mir abgezerrt, das Hemd zerrissen, ich denk daheim an meine Liebste, aber ich bin ein Mann, denk ich auch, und da sinds Proportionen, die ich nicht abweisen will, und da … 


ERZÄHLERIN

… und da waren es schließlich acht Tag und noch mal acht Nächte, die der Simplicius in diesem Zimmer hatt verweilen dürfen …


SIMPLICIUS

… und ich denk, auch die drei Maskenmadames lagen die ein oder andre Nacht mit mir zusammen und der Allervortrefflichsten …


ERZÄHLERIN

… aber dann führt man den Simplicius an einem warmen Morgen mit verbundenen Augen aus dem Haus, setzt ihn in eine Kutsche …


SIMPLICIUS

… und nachdem die Kutsche davongerollt, nehm ich das Tuch von den Augen ab, schick einen Morgengruß durchs Kutschenfenster den Vögeln hinauf, ja, und da hör ich es gar wunderhübsch klingen in meiner Hosentasch, wo mir blankgewischte zweihundert Goldstück von der Allervortrefflichsten als Erinnerung geblieben und ein blitzendes Ringlein am Finger obendrein.


ERZÄHLERIN

Dergleichen allervortrefflichste Kundschaft bekam der Simplicius gegen klingende Münze und funkelnden Schmuck jetzt oft, sehr oft …


SIMPLICIUS

… die sich dann auch immer in einer Weis über mich hermachte, als sei ich auf ewig der Herkules …


ERZÄHLERIN

Und manchmal gedacht der Simplicius dann seines Ehweibs daheim in Soest … 


SIMPLICIUS

… dem allein ich doch all diese Kräft wär schuldig gewesen. Und über Dächer und Städt hinweg sagt ich ihr jetzt oft in meinen Gedanken, dass ich es hinfort wahrhaft treu mit ihr meinen wollt, wenn ich sie nur wieder für mich haben könnt.



LIED    ZEHN

Ach, Liebste, lass uns eilen,

Noch bleibt uns Zeit,

Es schadet das Verweilen

Uns beiderseit.

All unsre Schönheit Gaben

Fliehn Fuß für Fuß:

Dass alles, was wir haben,

Verschwinden muss.


Der Wangen Zier verbleichet,

Das Haar wird greis,

Der Augen Feuer weichet,

Die Lust wird Eis,

Das Mündlein von Korallen

Wird umgestalt,

Die Händ zu Schnee verfallen,

Und du wirst alt.


Drum lass uns jetzt genießen

Der Jugend Frucht,

Eh‘ wir dann folgen müssen

Der Jahre Flucht,

Wie du dich selber liebest,

So lieb auch mich,

Gib mir, und was du gibest,

Das geb auch ich.     



ERZÄHLERIN

Der Simplicius dachte daran, der großen Stadt Paris den Rücken zu kehren.


SIMPLICIUS

… weil … die Kräfte gingen mir aus. 


ERZÄHLERIN

Der Doktor Canard würd ihn nicht ohn Widerstand gehen lassen, denn all die Anfragen vom Hof und aus der Gesellschaft nach dem vortrefflichen Beau Alman hatten auch den Doktor und sein Haus in ein höheres Licht gezogen. Also sollte es heimlich geschehn …


SIMPLICIUS

… und das Glück spielt mir in die Karten. Bei einem Abendkonzert, da ich mit einem Lied von der Sehnsucht nach dem fernen Deutschland umjubelt worden, hatten sich mir zwei Offiziers der weimarischen Armee bekannt gemacht, die zum Konzert geladen gewesen und den Tag drauf nach Deutschland weiterziehn wollten. Ich gab mich ihnen zu erkennen als Musketier aus dem Lippischen und dass ich schon länger und ohn Aufsehen den Weg zurück in mein Regiment zu finden gehofft, die Pariser mich aber nicht wollten ziehen lassen, und ob ich mich den Herrn Offiziers denn unbemerkt anschließen dürfe gegen ein nicht unbeträchtlich Reisegeld im voraus …


ERZÄHLERIN

… und so, mit Hilf der Offiziers, die ein Pferd zusätzlich beschafften, gelang dem Simplicius am nächsten Morgen der heimliche Abschied aus der Stadt, die ihn zwar reich gemacht …


SIMPLICIUS

… an die fünfhundert Golddublonen konnt ich mir in die Packtasche stecken …


ERZÄHLERIN

… aber gleichsam auch bis aufs Geripp hatte hinschwächeln lassen.


SIMPLICIUS

Paris lag hinter uns. Ich war guter Ding und malt mir unterwegs in Gedanken aus, wie man im Lippischen mich aufnehmen würd. 


ERZÄHLERIN

Aber den zweiten Abend, nachdem sie den Tag über durch etliche Dörfer geritten, die von einer Seuche heimgesucht worden, bekommt der Simplicius …


SIMPLICIUS

… wie als Straf für all meine Sünden vom Himmel heruntergeschickt! …


ERZÄHLERIN

… einen Ausschlag. 


SIMPLICIUS

Wir hatten uns in einer dörflichen Herberg zum Schlafen hingelegt, und in der Nacht wach ich auf, mir dröhnt der Kopf, als hätt man drauf herumgehauen, ich lieg die Nacht über wach, und am folgenden Morgen, da die Offiziers gegen das Elsass hin weiterreiten wollen, wars mir ohnmöglich, ihnen zu folgen. Mit roten Flecken im Gesicht und an Armen und Bein gab ich ein Bild wie ein Höllenwurm. 


ERZÄHLERIN

Die Offiziers empfahlen den Simplicius in der Herberge dem Wirt, der gegen etliche Dublonen dem Kranken weiterhin Unterkunft geben wollte. 


SIMPLICIUS

Und der Arzt, den man geholt, sieht mich an und sagt: «Haha, die Blattern, wie schön! Da kann Er sich bis aller Tage End den Spiegel sparen!»


ERZÄHLERIN

Der Simplicius lag im Fieber. Beim Pfarrer wurd er zum letzten Stündlein gemeldet. Unterdess räumte der Wirt dem Kranken die Packtasche leer

. 

SIMPLICIUS

Im Gesicht sah ich jetzt aus, als hätt man ihm Erbsen drin gedroschen. 


ERZÄHLERIN

Die schwarzen Locken, in denen sich manch Weiberlächeln verfangen, die fielen ihm bald büschelweis aus. 


SIMPLICIUS

Hässlich wurd alles an mir. Statt der Locken wuchsen mir Sauborsten – dass ich also hinfort eine Perück würd tragen müssen. Und wie mir die Haut eintrocknet, so dörrn mir die Blattern den Hals und die Stimm aus. Meine Augen, in denen das Liebesfeuer geglüht, sie entzünden sich zu Trieftöpfen. Und über allem: Ich bin in einem fremden Land, weder Hund noch Mensch kennt mich, und meine Taschen sind beinah leer.


ERZÄHLERIN

Als der Simplicius nicht mehr bezahlen kann, stiehlt ihm der Wirt auch noch das Pferd weg und setzt den Habenichts dann kurzerhand vor die Tür.

SIMPLICIUS

Wohin geh ich jetzt?


ERZÄHLERIN

Der Weg führt den Simplicius aufs Geratewohl aus dem Dorf weg und weiter von Dorf zu Dorf und endlich in eine kleine Stadt, in der er eine Apotheke findet. Gegen ein Seidenhemd und ein Sacktuch mit Stickerei, das er mit einigem Andern noch im Kleidersack mit sich geführt, tauscht ihm der Apotheker eine Salbe. Auch gab er dem Simplicius Hoffnung: Binnen einer Woch oder zwei werd von den Blattern nicht viel mehr zu sehen sein bis auf die hart gewordenen Narben. 


SIMPLICIUS

Und weil Markt war in der Stadt, in die ich gekommen, geh ich hin, vielleicht, um mir ein Brot zu kaufen oder ein paar Rüben, und ich seh da einen Quacksalber, der mit allerlei Kräutergemeng und Pülverchen den Leuten die Geldstück aus der Tasch zieht. «Simplicius Simplicissimus», sag ich da zu mir selbst, «da hast du doch nicht umsonst beim Doktor Canard im Laboratorium geforscht, so kannst dus doch auch! Hast dir doch so im Handumdrehn dein Maulfutter verdient!»


ERZÄHLERIN

Und also beschloss der Simplicius, ein Arzt zu werden. Beim Apotheker und bei den Händlern auf dem Markt tauscht er Hemd und Hos, Ringe und Diamantenes, alles, was ihm von seinen Reichtümern grad noch geblieben – tauscht es gegen Pülverchen, Mittelchen, Kräuter, Essenzen und Gerätschaft. 


SIMPLICIUS

Den Theriak wollt ich mir mischen, so hatt ichs im Kopf, jenes Wundermittelchen aus dem Laboratorium meines Doktors. Auch rührt ich mir obendrein aus Kräutern, Wurzeln, Butter und etlichen Ölen eine grüne Salb, womit man gar ein wundgescheuert Pferd hätt heilen können. Und aus Zinkpulver, Kieselstein, Krebsaugen, Schmirgel und Talkum komponiert ich ein Gemisch, womit die Zähn blitzweiß zu reiben waren. Und endlich: Mit blauwässriger Laug aus Kupfer, Salmiak und Kampfer hatt ich überdies eine Mixtur gebraut gegen die Mundfäule und das Augenwässern. Dann besorgt ich mir blecherne Büchsen und Holzfässchen, Papierbogen und Gläser, um dahinein meine Mittelchen zu schmiern und zu pressen und zu packen. Auch, damit es ein Ansehen haben möcht, ließ ich mir Zettel in französischer und deutscher Aufschrift konzipiern und drucken, worauf zu lesen stand, wie all meine unvergleichlichen Arzneien zu konsumiern, einzuschlucken und aufzutragen seien. 


ERZÄHLERIN

In kaum drei Tagen war der Simplicius mit aller Vorbereitung fertig. 


SIMPLICIUS

Also pack ich mir das Reiselaboratorium auf den Rücken und will bis nach Deutschland hinein wandern und meine Waren unterwegs anpreisen. 


ERZÄHLERIN

Da sitzt der Simplicius also auf eine Kanne Bier in einer Schänke, und dort hört er vom Wirt, dass die Nachmittage immer allerhand Leut vorm Haus zusammenhockten. Viele kämen herüber aus Deutschland, und bei denen wär was zu verkaufen, sagt der Wirt, wenn der Herr Doktor aus dem Hessischen, als welcher sich ihm der Simplicius vorgestellt, wenn er denn auch wirklich guten Theriak hätt. Allein, weil man im Ort und überall immer auf Betrügerei rechne, säß den Leuten das Geld nicht eben locker. Sollt er aber, der Herr Doktor, die Probe auf seine Medizin im voraus geben können, wie es die Doctoribus in den Städten machten, «na, das gäb dann wohl auch bei uns im Dorf ein Geschäft!» sagte der Wirt.


SIMPLICIUS

Da hatt ich einen Einfall. Ich bat in der Wirtsküch um eine Zange, mit der man die Gurken greift, und ließ ein Glas um drei Viertel voll vom Straßburger Branntwein bereitstellen, das ich mir später auf den Tisch holen wollt. Fing mir unterdess hinterm Haus eine Kröte von der Art, die man «das giftig Möhmlein» nennt, welche im Frühling und Sommer in den Pfützen sitzen und singen und sind rotgelb und unten am Bauch schwarz gefleckt – hässlich anzusehn und kreuzgiftig. Die Kröt setz ich in ein Schoppenglas mit Wasser und stells dann zu meinen Waren und neben das Glas mit dem Straßburger Branntwein auf den Tisch, den mir der Wirt vor die Schänke geschafft. 


ERZÄHLERIN

Wie nun die Leut kommen und versammeln sich und stehen um den Simplicius herum, packt da einen Bauernjungen der Schalk und er fragt, ob der Doktor möcht mit der Gurkenzang den Leuten die Zähn ausbrechen? 


SIMPLICIUS

Ich aber nehm das Lachen rundum ohn Murren hin und sag: «Ihr Ärre et bon Frönd» – und das war eine Sprach gemischt aus dem Französisch und dem Deutsch und meiner Fantasterei, wies grad kam – «bin ich non Brech-dir-die-Zahn-aus, aber toute fois hab ich gut Tröpf für die Aug, weil, das treibt all die Flüss aus die entzündet Pupills.»


ERZÄHLERIN

 «Ha», ruft einer dagegen, «man siehts an deine Pupills, die sich dir drehn im Gesicht wie die Mücken!»


SIMPLICIUS

Ich entgegne: «Wohl wahr, guet Männli, wenn ich aber für mich nich gehabt hätt die Augengetröpf, na, guck, da im Fläsch, wär ich längst gar blind gemüsst für all Zeit et à jamais! Doch ich verkauf ja auch gar nit die Tröpf nit, non! Aber der Theriak und der Reibgepulver für die weiße Zähn und das Wundgesalb gegen die Blutstöß will ich verkauf, und der Tröpf für die Aug schenk ich ohn Geld et sans sujet obdrauf, denn bin ich nämlich kein Schreihals und Bescheiß-dir-die-Leuts-Kerl, biet ich mein Theriak doch erst an und verkaufs, wenn Ihr sie habt probiert! Und wenn nit gefallt, so müsst nix ihr kauft von mein Theriak, n‘est-ce pas?» 


ERZÄHLERIN

Indem hieß der Simplicius einen der Gaffer eins von den Theriakbüchslein auf dem Tisch auswählen …


SIMPLICIUS

… und ich greif zum Glas mit dem Branntwein! «Da hab ich excellent gut Wasser!» sag ich den Leut und halt ihnen das Glas mit dem Branntwein hoch. «Da trink ich Schlück Wasser aus mein Glas!», sag ich und tus … und nehm dann erbsgroß ein Stück von dem Theriak aus der Büchs heraus, lass es in das Glas mit dem Branntwein fallen: «Jeder kann sehn», sag ich, «tu ich rein in Wasser den Theriak!» – ich zerstoß es, trink wieder einen Schluck aus dem Glas und schüttel mich auch gleich in Wohlgefallen und losbrechender Gesundheit, ah! … und krieg dann mit der Zang das Möhmlein aus dem andern Glas und sag: «Seht nur gueti hin, Freund und Fraunsleut: Wann dies tres giftig Würm kann mein Theriak ohn weiters schluck und mein Theriak treibt nit aus der Leib von der Würm das schlimm Gift in Sekünd, alors, so ist mein Theriak nix nütz, dann ihr nix kauft nix ab, eh?» 


ERZÄHLERIN

Und schon platscht die arme Kröt, die im Wasser geborn und erzogen und kein ander Element konnt aushalten, in das Glas mit dem Branntwein, und der Wunderdoktor Simplicius deckt ein Papier darüber, dass sie nicht herausspringt.


SIMPLICIUS

Da fing die Kreatur dergestalt im Branntwein an zu wüten und zu zappeln, als hätt ichs auf glühende Kohlen geschmissen – ist im Augenblick verreckt und schiebt alle Viere von sich. «Da ihrs geseht», ruf ich den Leuten zu, «hat mein Theriak aus die Mömlein mit ein Schlag all die Gift herausgetreibt und bringt zur Ruh die Mömlein, wies wird tun auch und treibt aus euer Körper die Gift und die Krankheit, garanti!»


ERZÄHLERIN

Die Bauern sperrten Augen und Mäuler auf. Denn: Da sie gerad untrüglich eine Probe des Wundermittels gesehn, war ihnen das Geld im Beutel jetzt locker. 


SIMPLICIUS

Ich kam gar nicht nach mit dem Einfüllen und Nachfüllen und Einwickeln und Geldeinsacken. Da gabs keinen bessern Theriak in der Welt, und jeder wollt seinen Teil davon. Zehn Kronen hatt ich bis zum Abend in der Tasch – und macht mich dann auch schleunigst auf und davon und ins nächste Dorf, denn fürchten musst ich, dass eins von den Bäuerlein daheim die Prob mit dem Mömlein könnt nachtun. Und dann misslingts, und mir wird der Buckel gebläut! Ha! 


ERZÄHLERIN

Und so – hochgeehrte Herren und großgütige Damen – geht der Simplicius weiter die Wege von Dorf zu Dorf und von Stadt zu Stadt und hinein in den Krieg und wieder heraus, und es ist noch eine lange Geschicht mit ihm, die wir aber fürs Erste nun zu einem End bringen wollen. Gerade im Augenblick – vielleicht ist es wahrhaftig so – ist der Simplicius in einem Gasthof im Elsässischen erwacht, und mit dem Aufgehen der Morgensonn singt er sich jetzt ein Liedchen, das ihm Mut machen soll für den Tag und eine neue Qucksalberei. 



LIED    ELF

Misch ich, rühr ich, perlutier ich,

Resolvier ich insgeheim,

Calcinier und digerier ich,

Alle gehn mir auf den Leim.

Alkümistisch komprimier ich,

Meng ich Eisenwurzel ein,

Bitterlauge sublimier ich,

Tu ich Spinnenbauchspeck drein.


Hab ich Schlangenblut filtrieret

Dickgeschäumt und abgeschmeckt,

Hab mit Krötenschweiß mulltieret,

Bin ich gar nicht dran verreckt.

Hau ich Rattenzahn in Stücke,

Mach ich Liebespulver draus,

Schneid ich blaubetupfte Mücke

Rein und schmier mit Wurmfett aus.


Hab ich Medizin in Büchslein,

Hab ich Salb in Blatt gerollt,

Mal ich auf mein Büchs viel Glücksschwein,

Sag ich, dass ich Guts gewollt.

All Doktoribus berühmen

Sich, dass sie den Tod bezwängt,

Zieh ich Saft aus Butterblümen,

Streu ich drüber Kieselkrümen,

Hab ich Lebenssaft gemengt.